Es ging auf Mitternacht zu, eine Schlange hatte sich vor der Buchhandlung im Zentrum von London gebildet. „Nicht mehr lange“, meinte der 14-jährige Tom zu seinen beiden Freunden. Ihre Zauberumhänge wehten im Nachtwind, während die drei gemeinsam mit Tausenden Fans auf die Veröffentlichung des siebten Harry Potter Bands warteten. Dann, endlich, hielten sie ihn in der Hand. Männer mit Zauberstäben in der U-Bahn Das ist jetzt neun Jahre her. Neun Jahre, in denen aus Schülern Studenten wurden und aus den Studenten irgendwann Berufstätige. Doch Harry lebte weiter, in den Herzen von Millionen Lesern wie Tom, der inzwischen in Auckland Ingenieurswissenschaften studiert. Für die Harry-Potter-Generation ist Hogwarts ein Rückzugsort geworden, der angesichts einer immer rasanteren Welt Zuflucht bietet. In diesen Tagen erwacht die magische Parallelwelt erneut zum Leben. Im Londoner Palace Theatre bringen 42 Schauspieler den achten Teil der Saga, „Harry Potter and the Cursed Child“, auf die Bühne. Seit Sonntag ist die englische Buchausgabe erhältlich. Die Harry Potter-Saison ist also wieder eröffnet. In der Londoner U-Bahn fuchteln Männer mit Zauberstäben herum, murmeln "Alohomora" und wickeln sich in ihre Unsichtbarkeitsumhänge. Auf Twitter trendet derweil der Hashtag #HesBack. Doch der, der da gekonnt mit dem Zauberstab rumhantiert, ist genau wie sein Held Harry, Mitte dreißig und trägt normalerweise einen Anzug. „Wir erwarten, dass die meisten Zuschauer unter 35 sind“, berichtet dennoch der Koproduzent Collin Callender. „Ich kann das nicht tun“, sagt Jane. Sie hatte Karten für die Vorpremiere, aber die Geschichte erzählen wäre Hochverrat. Auf J.K. Rowlings Twitter-Account steht’s geschrieben: #KeepTheSecrets. #DontBeWormtail. Wormtail, der Verräter. Jane ist inzwischen 31 und war 12, als der erste Teil erschein. „Soviel kann ich sagen: die Geschichte ist nicht so detailliert, wie die Bücher“. Trotzdem liebt sie den neuen Teil. „Better than I could have ever imagined!“. London gerät in Gefahr Harry, der inzwischen für das Zaubereiministerium arbeitet, wird vom Arbeitsalltag verschluckt. Ein bisschen, wie viele seiner Fans. Seine Kinder gehen auf die Hogwarts Schule, deren berühmtester Absolvent er selbst ist. Doch dann entwickelt der Sohn Albus Severus ein ungeahntes Eigenleben und verwandelt London in einen unsicheren Ort. 1997 erschien der erste Band. Das war im vergangen Jahrhundert. Doch wer meint, Harry Potter sei zeitlos, der irrt. Die Stärke der Harry Potter Welt ist gerade, dass sie nicht zeitlos ist. Ihre Fans altern und das Harry Potter Universum altert mit ins Jahr 2016 — ohne dabei ihre magischen Anteile zu verlieren. Und so bleibt ihnen erhalten, was in scheinbar unsicheren Zeiten besonders kostbar ist: Ein Ort der Zuflucht. Ein bisschen wie der Gryffindor-Gemeinschaftsraum, in dem nur die Guten verkehren und jeder jeden kennt. Das neue Theaterstück bietet auch Tom die Möglichkeit, wieder zurückzukehren. Das letzte Mal wird es nicht sein: „Hogwarts wird mein Leben lang mein Rückzugsort sein“.