Als ich neun war, wurde Angela Merkel Kanzlerin. Mein kindlicher Horizont tastete sich damals langsam an die große Politik heran. Die erste Frau an Deutschlands Spitze war für mich ein Vorbild: ehrgeizig, mächtig, vertrauenswürdig. Diese Eigenschaften spreche ich ihr auch heute, elf Jahre später, noch zu. Jedoch mit einem kritischen Blick, einem fein bitteren Beigeschmack und einem Hauch Skepsis. Bitte eine Prise Mut und klare Worte Ihr "Wir schaffen das!" klingt vielen noch hoffnungsvoll in den Ohren. Wie viel aber möchte ich auf das Versprechen einer Frau geben, die bei konkreten Fragen nur um den heißen Brei herumredet? Aktuelles Beispiel: Im Sommerinterview der Tagesschau fasste sie die Türkei-Thematik mit Samthandschuhen an. Auf die Frage, ob sie die Türkei als Demokratie einstufe, gab es viel - bloß keine Antwort. Dennoch: Angela Merkel ist an Kompetenz schwer zu toppen. Sie hat einen guten Überblick über alle Krisenherde und Problemfelder. Sie hat ein unglaubliches Wissen, auf das sie zurückgreift. Was ihr fehlt? Mut! Bloß nicht zu viel sagen - schon gar nichts, mit dem sich irgendwer angegriffen fühlt. Ein guter Politiker würde Zähne zeigen, seinen Mann - oder in diesem Fall seine Frau - stehen. Gegenwind ist nichts Schlechtes, wenn er für das richtige Ziel bläst. Kurve kratzen? Jetzt noch nicht. Dennoch: Die nächsten fünf Jahre möchte ich gerne weiter an Silvester die Frau mit den vor dem Bauch gefalteten Händen hören. Auch, wenn ich damit zur Minderheit gehöre. Nur noch 42 Prozent der Deutschen wollen Merkel für eine weitere Amtszeit als Kanzlerin Ich bin dankbar für die vielen Brücken, die sie über Deutschlands Abgründe schon gebaut hat. Eine Alternative ist für mich im Moment nicht in Sicht. Aber bitte, liebe Angie, spring' öfter mal ins kalte Wasser und mach's wie Gabriel: Heb' einfach mal den Finger und sag was! Dann kauft man dir dein Versprechen vielleicht auch bald wieder ab. Was denkt ihr über Angies Arbeit? Schreibt mir eure Meinung oder diskutiert mit uns auf Facebook oder Twitter.