Eigentlich tun wir doch nur so, als wären wir stolz darauf, dass Deutschland geeint ist. Oder? Das ist eine steile These, ich weiß. Aber wir zeigen doch gar nicht, dass wir uns hier zu Hause fühlen. Wir nehmen Deutschland für selbstverständlich. Was geben wir denn zurück? Nicht mal am Tag der Deutschen Einheit, dem Geburtstag des vereinten Deutschland sozusagen, können wir feiern und patriotisch sein. Ich habe noch keine gehisste Flagge vor der Haustür gesehen. Natürlich in unserer Hauptstadt Berlin (oder dieses Jahr in Dresden). Da wird ein bisschen gefeiert. Es gibt Straßenkünstler, Livemusik, Fahrgeschäfte und jede Menge (deutsches) Essen. Ein bisschen Krawall natürlich auch. Ich erinnere mich noch gut an die Feierlichkeiten zu unserem Vierteljahrhundert 2015. Im Fernsehen habe ich gesehen, wie Merkel, Gauck und viele andere Menschen einen leuchtenden Ballon haben fliegen lassen. Die 25 auf dem Geburtstagskuchen ist etwas Besonderes. Aber in jedem anderen Jahr gibt es Reden über Reden, bloß keine Stimmung. "Miss America" gibt's hier nicht In den USA ist das ganz anders. Bei den Amis sollten wir uns ruhig eine Scheibe abschneiden. Man kennt die Paraden und den Stolz. Ich war zehn Monate lang in den USA zum Schüleraustausch. Leider bin ich zwei Wochen vor dem Nationalfeiertag 4. Juli abgeflogen. Die Vorbereitungen für den "Independence Day" aber konnte ich mitbekommen. Die „Stars and Stripes“-Flagge sieht man sowieso ständig vor den Häusern der Amis. Aber an jenem Tag, an dem die seit 1776 unabhängigen Vereinigten Staaten gefeiert werden, rasten die Amerikaner förmlich aus. Jede Stadt feiert. Überall sieht man nur noch Blau, Rot und Weiß. Alle Menschen sind nur noch blau, rot und weiß. Zu Zeiten meines Auslandsjahres war ich auch noch total „Miss America“ und habe es geliebt, mich in der Schule zu verkleiden – auch in den Nationalfarben. Stellt euch das mal in Deutschland vor? Schwarz, Rot, Gold sieht man höchstens auf einem Fußball-Trikot. Überhaupt kommt all unser Stolz nur bei Sportevents – hauptsächlich während der WM oder der EM – zum Vorschein. Den ersten Tag der Deutschen Einheit, den ich nach meinem Jahr auf der anderen Seite des Großen Teichs verbracht habe, wollte ich auch feiern. Schließlich hatte ich „mein“ Land, mein Heimatland in zehn Monaten liebgewonnen. Ein paar Angewohnheiten der Amerikaner konnte ich nicht mehr aushalten und war zugegeben richtig stolz, mit deutschen Wertvorstellungen aufgewachsen zu sein. Warum, so habe ich mich gefragt, müssen Geschäfte eigentlich 24 Stunden an sieben Tagen geöffnet sein? Kann man wie bei uns den Verkäufern nicht mal einen Ruhetag gönnen? Deutschland-Liebe nur beim Fußball Deshalb wollte ich gern mit meiner Familie am 3. Oktober feiern. Ich zog etwas Ordentliches an und lief sogar mit einer kleinen Deutschlandflagge die Treppe runter. Meine Eltern staunten. Ob das positiv oder negativ gemeint war, weiß ich gar nicht. Es hat mir auf jeden Fall gezeigt, patriotisches Feiern ist für uns Deutsche nichts. Manche würden es verklemmt nennen; ich sage einfach: Wir haben irgendwie (außer in Fußball-Zeiten) mehr Haltung. Wir zeigen unseren Stolz nicht. Wir sind verdammt froh, dass wir ein gutes Sozialversicherungssystem haben, wir sind froh, dass wir so leckeres Bier haben. All das mag unter Nationalstolz gefasst werden. Aber das „Ich identifiziere mich offen mit meinem Land“ hören wir hierzulande eher selten. Wir feiern eben nur im Stillen. Wir laden uns Gäste zum Kaffee ein und sind froh, einen Tag frei zu haben, an dem wir mal abschalten können vom Alltag. An dem wir mal ein bisschen aufholen können, was übrig geblieben ist in den letzten Wochen, sei es zu Hause rumkrorsen, sei es, um endlich mal einen alten Freund anzurufen. Vielleicht ist meine These auch falsch. Wir tun nicht so, als wären wir stolz. Wir sind stolz. Wir zeigen es nur nicht. Das hört sich auch freundlicher, friedlicher an. Ganz im Sinne eines friedlichen 3. Oktobers. So friedlich wie letztes Jahr die leuchtenden Ballons, die in die Freiheit flogen. Wie erlebt ihr euren Tag der Deutschen Einheit? Würdet ihr das „feiern“ nennen? Was haltet ihr vom (amerikanischen) Patriotismus? Schreibt mir eure Meinung oder diskutiert mit uns auf Facebook und Twitter.