Venezuela war mal das reichste Land Südamerikas. Jetzt herrscht Chaos. Beinahe täglich gehen Millionen Menschen auf die Straße, um gegen die Regierung von Präsident Nicolas Maduro zu demonstrieren. Sicherheitskräfte gehen gewaltsam gegen die wütenden Bürger vor. Augenzeugen zufolge wurde ein 18-Jähriger am Mittwoch in der Hauptstadt Caracas durch einen Kopfschuss getötet. Hier beantworten wir die wichtigsten Fragen zur Lage in Venezuela. Warum gehen die Menschen auf die Straße? Venezuela erlebt die schlimmste Wirtschaftskrise seiner Geschichte. Die Währung ("Bolivar") ist praktisch wertlos. In vielen Geschäften sind die Regale leer. Die Menschen können sich kaum noch ausreichend ernähren. Drei Viertel der Bürger haben im vergangenen Jahr im Schnitt acht Kilo Körpergewicht verloren, weil sie sich entweder keine Nahrungsmittel leisten konnten oder weil es schlicht nichts zu kaufen gab. Wie kam es zu der Wirtschaftskrise? Venezuela besitzt die größten Ölreserven der Erde. Das sorgte einst für Wohlstand. Das Öl ist immer noch da. Der Reichtum aber ist futsch. Als ein Grund gilt die Politik des früheren sozialistischen Präsidenten Hugo Chávez. Der versprach, die Bürger am Reichtum teilhaben zu lassen und verstaatlichte viele Unternehmen. Das aber verschreckte Investoren aus dem Ausland, die seither kaum noch Geld ins Land bringen. Chávez starb 2013 an Krebs, sein Nachfolger Nicolas Maduro führte die Politik jedoch fort. Statt Wohlstand für alle gibt es nur noch Reichtum für wenige - zum Beispiel Politiker, Offiziere und Freunde des Präsidenten. Wie äußert sich die Wirtschaftskrise? Erst blieben die ausländischen Investitionen aus, später trauten sich auch einheimische Firmen nicht mehr, Geld für neue Fabriken oder Maschinen auszugeben. Schließlich mussten sie fürchten, von der Regierung enteignet zu werden. In der Folge verloren immer mehr Menschen ihren Job. Die Arbeitslosenquote wuchs von einst unter sieben Prozent auf mehr als 21 Prozent. Die Währung des Landes verlor dramatisch an Wert. Die so genannte Inflationsrate ist mit 700 Prozent pro Jahr die höchste der Welt. Zum Vergleich - 700 Prozent pro Jahr würde in Deutschland bedeuten: Ein Stück Brot, für das man heute einen Euro bezahlt, kostet im nächsten Monat bereits mehr als 1,50 Euro. In einem halben Jahr wären es rund 4,50 Euro. Wie entsteht so eine hohe Inflation? Eine gesunde Volkswirtschaft funktioniert vereinfacht ausgedrückt so: Stellen die Firmen im Land mehr Güter her, muss die Zentralbank mehr Geld drucken, mit dem die Bürger des Landes diese Sachen bezahlen können. Stellen die Firmen nun plötzlich kaum noch Sachen her, dann ist im Verhältnis zur Menge an Gütern zu viel Geld im Umlauf. Folge: Für die wenigen Güter müssen die Bürger mehr bezahlen. Das Geld verliert an Wert. Im Fall von Venezuela ist die Lage so schlimm, dass das Geld immer schneller an Wert verliert. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet, dass die Inflation in dem Land 2018 auf 2000 Prozent steigen wird. https://www.youtube.com/watch?v=PIYrA83Iuxs Im Video: Eine Augenzeugin filmt einen Massenprotest in der Hauptstadt Caracas. Welche Folgen hat die Inflation für die Venezolaner? Die Venezolaner können praktisch keine Sachen mehr im Ausland einkaufen. Autos aus Deutschland müssten sie in Euro bezahlen. Coca Cola aus Amerika in Dollar. Der Bolivar ist aber im Vergleich zum Euro oder Dollar so wenig Wert, dass deutsche Autos oder amerikanische Coke schlicht unbezahlbar geworden sind. Das hatte bereits skurrile Folgen: So konnte die Regierung zuletzt nicht einmal mehr Bolivar-Scheine drucken, weil ihr das Papier und die Tinte zum Drucken fehlten. Im vergangenen Sommer musste McDonald's in Venezuela den BigMac von der Karte streichen, weil die Zulieferer im Land nicht mehr das dünne Brötchen zwischen den beiden Fleischstücken bezahlen konnten. Warum verkauft Venezuela nicht einfach mehr Öl? Um die gewaltigen Ölvorkommen aus der Erde zu pumpen, bräuchte das Land bessere Förderanlagen. Die kann es sich aber nicht leisten. Investitionen aus dem Ausland wären nötig, bleiben aber aus. Deswegen bleibt das Öl in Venezuela unter der Erde und das Land ist sogar auf Benzinimporte angewiesen. Diese Importe allerdings müssen in Dollar bezahlt werden. Daher kann sich Venezuela selbst das kaum leisten (siehe oben). Wie geht es jetzt weiter? Das Land droht im Chaos zu versinken. Oppositionsführer Henrique Capriles ruft weiter zu Massenproteste auf. „Wenn heute Millionen auf die Straßen gegangen sind, müssen morgen noch mehr rausgehen“, sagte er. Laut des oppositionsnahen Umfrageinstituts Meganalisis sollen am Mittwoch bis zu sechs Millionen Menschen demonstriert haben. Der US-amerikanische Außenminister Rex Tillerson warnt vor einer Eskalation: „Wir sind besorgt, dass die Regierung Maduro die eigene Verfassung verletzt und der Opposition nicht erlaubt, dass ihre Stimmen gehört werden.“ Der Autor: Roman Tyborski hat Volkswirtschaft und Politik an der Uni Köln studiert. Seit 2017 volontiert er an der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten.