Bestellvermittler verdienen bei Dönerläden, China-Restaurants und Pizzerien mit. Jetzt drängt ein Düsseldorfer Start-up mit einer App in einen Bereich, wo bisher noch alles so ist wie früher: Bäckereien. Mittagspause! Philip Rodowski hat Hunger, geht zum Bäcker und muss sich erstmal hinten anstellen. Minute um Minute verstreicht, die Kunden vor ihm überlegen, was sie essen möchten. Kramen in ihren Portemonnaies nach Kleingeld. Philip schaut auf die Uhr: Ein Drittel seiner Pause ist schon rum. Hat er überhaupt genug Bargeld dabei? Ja, zum Glück. Sonst müsste er nochmal schnell zum Bankautomaten laufen und sich wieder hinten anstellen. "Der digitale Brötchenkonfigurator" Um die Wartezeit zu überbrücken, ruft er seinen Freund Sebastian Diehl an. „Wie cool wäre es eigentlich, wenn mein Brötchen schon fertig belegt hier läge und ich es nur noch abholen müsste?“, fragt er. Im Video: Philip erklärt, wie "App & Eat" funktioniert. Es trifft sich gut, dass sein Kumpel Sebastian kurz vorher sein Start-up „Emmas Enkel“ an die Metro Gruppe (u.a. Real, Media Markt) verkauft hat. Deswegen hätte er damals „ein paar mehr Freiheiten“ gehabt, sagt Sebastian heute. Aus der spontanen Idee in der Bäckerschlange haben die beiden gemeinsam mit ihrem Kumpel Lucas Kerscher eine App entwickelt: den digitalen Brötchenkonfigurator „App & Eat“. Die Idee: Kunden können einen Bäcker in ihrer Nähe suchen, sich ihr Wunschbrötchen mit allen Zutaten belegen lassen, die sie haben wollen – und direkt in der App mit Kreditkarte bezahlen. Am Ende bekommen sie eine Abholnummer und können ihr fertiges Brötchen an einer Abholstation beim Bäcker in Empfang nehmen. Handwerker kochen und backen, Entwickler kassieren Es ist der nächste Schritt in eine Welt, in der wir alles nur noch online bestellen und bezahlen. Und in eine Welt, in der viele Bäcker, Köche und Dönergriller, aber auch Schuhverkäufer, Floristen oder Schneider wie früher ihre Arbeit machen, während wenige andere ihnen den Vertrieb abnehmen und daran verdienen. Apps wie Lieferando oder Foodora vermitteln Bestellungen an Pizzabäcker und Burgerbuden und nehmen bis zu 15 Prozent Provision. Wer nicht mitmacht, könnte bald abgehängt werden. +++ Außerdem bei Orange: Teures Geschäft mit Lieferando, Pizza.de & Co – Der Kampf der Pizzabäcker +++ Nun also "App & Eat". Seit Anfang Juni ist die kostenlose App auf dem Markt. Bislang machen 16 Filialen der Bäckerei Terbuyken in und um Düsseldorf mit. „Wir sind noch im Aufbau“, sagt Philip. Doch 40 weitere Bäckereiketten mit jeweils 30-50 Filialen hätten bereits Interesse an einer Zusammenarbeit angemeldet. Potenziell steht den beiden Gründern ein großer Markt offen: In Deutschland gibt es nach Angaben des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks rund 11.700 Meisterbetriebe mit etwa 35.000 Filialen. Der Gesamtumsatz lag 2016 bei 14,3 Milliarden Euro. Im Schnitt verdrückt jeder deutsche Haushalt knapp 60 Kilogramm Brot und Backwaren im Jahr. Das Deutsche Bäckerhandwerk gibt sich offen für „App & Eat“ Allerdings gilt die Branche als sehr traditionell. Die meisten Bäckereien verkaufen ihre Brötchen im Laden und nicht im Internet. "Ein neues System muss einfach, schnell und leicht verständlich sein", sagt Maren Andresen, Vorstandsvorsitzende der Werbegemeinschaft des Deutschen Bäckerhandwerks. Das Konzept von "App & Eat" sei eine gute Idee, um Bäckereien digitaler zu machen. Unser Gründer und Geschäftsführer Philip gibt ein Interview 🎥👨🏽‍💼macht sich doch gut vor der Kamera, oder? Bald sagen wir euch auch, wo ihr das ganze sehen könnt 😉 #startup #düsseldorf #terbuyken #appandeat #local #supportlocal #food #düsseldorffirst Ein Beitrag geteilt von App & Eat - Warten war gestern (@appandeat) am 27. Jun 2017 um 3:55 Uhr Die Grundidee, den stationären Handel digitaler zu machen, hatte Sebastian schon bei seinem ersten Start-up „Emmas Enkel“. Er stattete seine Lebensmittelgeschäfte mit virtuellen Regalen aus, bei denen man mit dem Smartphone Waren bestellen konnte. Die Lebensmittel suchte dann ein Mitarbeiter zusammen, in der Zwischenzeit konnte man eine Tasse Kaffee an der Ladentheke trinken oder später wiederkommen und den Einkauf abholen. Nach der Übernahme und dem Ausstieg der Gründer aus der Geschäftsführung hat die Metro Gruppe das Konzept erst auf Online-Bestellung und -Lieferung umgestellt, um das kurze Zeit später zu stoppen und die Filialen in Essen und Berlin zu schließen. Heute ist die Marke „Emmas Enkel“ nur noch in Düsseldorf-Grafenberg zu besichtigen. Auf ihrem Werksgelände hat die Metro einen Real-Supermarkt kurzerhand umgewidmet. Mit der eigentlichen Idee hat dieser 08/15-Supermarkt aber nichts mehr zu tun. Die Enkel sind tot. Nächstes Ziel der Gründer: Metzgereien Mit Sebastians neuem Projekt „App & Eat“ soll es besser laufen. Seit dem Start der App Anfang Juni haben 1.500 Nutzer die App heruntergeladen. Wenn sie ihre Brötchen bestellen, müssen sie eine Service-Gebühr von 29 Cent an App & Eat zahlen. Von den Bäckern erhalten die Gründer außerdem eine geringe monatliche Gebühr für die Bereitstellung der Software und des Tablets, auf dem die Bestellungen an der Ladentheke eingehen. Außerdem müssen die Bäcker einen Teil der Einnahmen abgeben, die über die App reinkommen. Die ersten vier Monate hätten gezeigt, dass die Menschen die App vor allem für größere Bestellungen nutzen, erzählt Philip: „Im Durchschnitt zahlt der Kunde pro Einkauf beim Bäcker 3,70 Euro, bei App & Eat 5,50 Euro.“ Die beiden Gründer überlegen deshalb, ihr Geschäftsmodell auf andere Geschäfte mit Ladentheke auszuweiten, die häufig größere Bestellungen bekommen. „Wir haben schon Anfragen von Metzgereien bekommen, die mit uns zusammenarbeiten wollen“, sagt Philip. Denn Anrufe würden gerade in Stoßzeiten wie der Grillsaison oder der Weihnachtszeit den Betrieb lahmlegen. Und Metzgereien hätten noch stärker als Bäcker das Problem, junge Zielgruppen zu erreichen. Mit dem bargeldlosen Bezahlen, Marketing über Facebook und Instagram und einem Bonuspunktesystem hoffen Philip und Sebastian, diese klassischen Thekengeschäfte wieder hip zu machen. Die Autoren: Milena Merten ist Volontärin an der Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten. Andreas Dörnfelder ist Redaktionsleiter von Orange by Handelsblatt.