Kolumbien ist Anbauland Nummer eins für Koka – die Pflanze, aus deren Blättern Kokain gewonnen wird. Das ist verboten, aber ein ertragreiches Geschäft für die Bauern. Jetzt will die Regierung, dass auf illegalen Koka-Plantagen Kaffee angebaut wird. Kann das funktionieren? Wer sich auf eine Reise in das kolumbianische Dorf Palmichal begibt, braucht Zeit. Und einen starken Magen. Rund sechs Stunden holpert der Minibus von der nächstgrößeren Stadt Briceño durch die Anden bis in das Dorf. Der Bus ist völlig überladen: zwei Kälbchen, ein paar Hühner, acht Menschen auf fünf Sitzplätzen, vier weitere auf dem Dach. Der Weg führt über schier endlose Steilhänge, auf denen sich Sträucher im Wind bewegen. 18,3 Millionen Menschen nehmen Kokain, ein Großteil der Droge kommt aus Kolumbien Eine trügerische Idylle. Denn das hier ist eine eine Gegend, in der Koka-Anbau floriert. In 98 Prozent der umliegenden Dörfer züchten Bauern die Pflanze, deren getrocknete Blätter zu einem kleinen Teil aus Kokain bestehen – einer gefährlichen Droge, die 18,3 Millionen Menschen weltweit nehmen und schnell abhängig machen kann. Das zeigt der aktuelle Drogenbericht der Vereinten Nationen. Mehr als die Hälfte der Koka-Anbaufläche auf diesem Planeten liegt in Kolumbien. Das Land produziert mehr denn je. https://twitter.com/InSightCrime/status/888776154022264832 Das südamerikanische Land kam im November 2016 nach 50 Jahren voller gewalttätiger Konflikte endlich zur Ruhe, als das Militär und die sogenannten Farc-Rebellen einen Friedensvertrag schlossen. Der Kampf gegen Drogen ist einer der zentralen Punkte des Friedensabkommens. Und das Dorf Palmichal soll den Anfang machen. Seit Juli 2016 läuft in Palmichal ein Projekt, an dem Regierung, Farc-Rebellen, die Vereinten Nationen und die lokalen Kokabauern beteiligt sind. Schon bald soll der Bus nach Palmichal nicht mehr entlang von Kokasträuchern fahren, sondern vorbei an Kakao- und Kaffeeplantagen führen. Jhon García ist so etwas wie der Dorfvorsteher von Palmichal und baut selbst Koka an. Seitdem das Projekt beschlossen wurde, trifft er sich wöchentlich mit Vertretern der Regierung und den Rebellen. „Ich stehe weder auf der einen, noch auf der anderen Seite. Ich kämpfe nur für eine einzige Sache und zwar für die Gemeinschaft.“ Mit diesen Worten stellt sich Jhon gerne vor. Seine Neutralität ist ihm wichtig. Mehr als 2.000 Familien in der Region sind auf Koka als Einnahmequelle angewiesen Kakao ist eine Möglichkeit, Koka zu ersetzen, Kaffee eine andere. Der Versuch, Koka durch legale Pflanzen zu ersetzen, ist an sich nichts Neues. In der Vergangenheit gab es bereits zahlreiche solcher Projekte – doch die meisten scheiterten. Neu ist, dass sich die Farc-Rebellen – die bis zu 70 Prozent des gesamten Koka-Anbaus in Kolumbien kontrolliert – aktiv an dem Projekt beteiligen. Das Projekt testet, was später auf ganz Kolumbien ausgeweitet werden soll. Ein Experiment mit unbekanntem Ausgang, das für die betroffenen Bauern jedoch ein Dilemma darstellt. Denn jeder Neunte lebt direkt oder indirekt vom Anbau und Verkauf von Koka. Es ist oft ihre einzige Einnahmequelle. Auch für Jhon. Alle zwei Monate pflückt er Koka und stellt mithilfe von Kerosin, Kalk, Natriumkarbonat und anderen Chemikalien die berühmte Koka-Paste her, die sich später zu Kokain verarbeiten und für gutes Geld verkaufen lässt. Aus einem Zentner Koka lässt sich rund ein Kilogramm Paste gewinnen – alle zwei Monate. Etwa 1,30 Dollar bekommt ein „Cocalero“ für ein Kilo Kokablätter. Im Vergleich dazu benötigen Kaffee- und Kakao-Kulturen ein gutes Jahr, bis sie zum ersten Mal Gewinn abwerfen. Eine Drogenmafia stört den Friedensprozess Nicht nur die Farc-Rebellen profitierten früher vom Koka-Anbau. Auch verschiedene bewaffnete Gruppen beteiligten sich an dem illegalen Geschäft. Eine dieser Gruppen in Palmichal und Umgebung ist die Drogenmafia „Los Urabeños“. Die Gruppe gilt als mächtigste kriminelle Organisation Kolumbiens und besteht vor allem aus ehemaligen Militärkämpfern. Das Geschäftsmodell der Mafia funktioniert so: Sie verdienen Millionen mit dem Handel von Kokain und bieten den Bauern im Gegenzug finanzielle Sicherheit. Da die „Urabeños“ nicht in den Friedensprozess mit der Regierung eingebunden sind, bedrohen sie derzeit die komplette Region. Die Lage in Palmichal zeigt, was den Friedensprozess in Kolumbien so schwierig macht. Die ersten Bauern haben bereits angefangen, Kaffee und Bananen anzubauen. Auch Jhon hat einige seiner Koka-Stauden durch Kaffee-Pflanzen ersetzt. Die kolumbianische Regierung kündigte an, rund 320 Millionen Euro in das Projekt zu stecken, um die Bauern zu unterstützen. Doch die Zweifel bleiben. Jeden morgen, wenn der Nebel noch zwischen den Bergen hängt und das Dorf langsam aufwacht, beginnt dort von Neuem ein Kampf. Zwischen dem gewünschten Frieden und der Angst vor dem Neuen, Unbekannten. Zwischen dem Wunsch, legale Kulturen anzubauen und der Gewissheit, mit Koka doch ein sicheres Einkommen zu haben und der Armut zu entkommen. Dann muss Jhon García die anderen Bauern überzeugen.