Die Basketball- oder Footballteams der amerikanischen Universitäten sind professioneller organisiert als manche Fußballvereine in der Bundesliga. Doch das System hat ein Problem: Es ist wie gemacht für Korruption. (Artikel vom Handelsblatt) Das Spiel bringt Milliarden ein, doch die Spieler sind Bettler. Es ist diese Kurzformel, auf die sich das Geschäft mit dem Sport an amerikanischen Universitäten reduzieren lässt. Sie reicht aus, um das ganze Dilemma zu beschreiben, das sich Tag für Tag an den Hochschulen im Land der Träume abspielt. Und seine ganze Verlogenheit. Adidas-Manager soll Basketball-Talente bestochen haben Ende September hat die New Yorker Polizei einen hochrangigen Manager von Adidas festgenommen. James G. ist bei dem Konzern der oberste Marketing-Chef für die Sportart Basketball. Er soll junge Basketballtalente bestochen haben, damit die für College-Mannschaften spielen, mit denen Adidas Sponsorenverträge hatte. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Herzogenaurach bei Nürnberg hat ihn bis auf weiteres beurlaubt. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf ein System, das wie gemacht für Korruption ist. Ein erfolgreiches Team im Football oder Basketball bedeutet für eine US-Universität die sprichwörtliche Lizenz zum Gelddrucken. Jüngst unterschrieb der TV-Sender CBS einen Vertrag mit der NCAA – der National Collegiate Athletic Association – für das jährliche Basketballballturnier. „March Madness“ heißt die Veranstaltung, an der 64 Teams teilnehmen und die alljährlich im Frühjahr das ganze Land in ihren Bann zieht. CBA zahlt für die Übertragung der rund 70 Spiele mehr als eine Milliarde Dollar. Der Gigantismus regiert überall. Der Uni-Sport ist in verschiedene Ligen eingeteilt, so genannte Conferences. Allein die Big Ten Conference im Nordosten der USA kassiert für die Übertragung ihrer Football-Spiele 440 Millionen Dollar pro Jahr. Hinzu kommen Einnahmen für Finalspiele, der Vermarktung von Namensrechten und dem Verkauf von Kleidungsartikeln. Allein die Ohio State University gab zuletzt den Umsatz ihrer Sportabteilung mit 167 Millionen Dollar an. +++ Außerdem bei Orange: Die Wahrheit über Rassismus im italienischen Fußball +++ Das Geld ist überall sichtbar. Die Spielstätten an den großen Universitäten sind nicht einfach Hallen. Es sind Sport-Tempel. Riesige Bands proben jeden Tag, um am Wochenende Zehntausende von Zuschauern zu unterhalten. Cheerleading-Trupps werden in langwierigen Auswahlprozessen zusammengestellt. Die Sportler werden verehrt. Mag die Wirtschaftsfakultät auch einen Nobelpreisträger nach dem anderen ausbilden – die bekanntesten Köpfe einer Uni sind diejenigen, die gut springen und schnell laufen können. College-Spieler dürfen kein Geld annehmen Die Sache hat nur einen Haken: Mögen die Spieler für ihre Universitäten auch noch so viel wert sein, sie selbst bekommen keinen Cent. Das Regelwerk der NCAA ist streng. Die Spieler werden gut versorgt, keine Frage. Ein ganzer Stab von Ärzten kümmert sich um ihre Wohl, sie werden bekocht, massiert und bezirzt. Aber Vergütung? Nein. Die Annahme von Sachgeschenken oder gar Bargeld führt zur sofortigen Sperren, oft zum Rauswurf aus der Uni. Junge Menschen, die seit Jahren nichts anderes tun, als einem Ball hinterherzujagen, fallen zurück, woher sie kamen. Oft ins Ghetto. Kritik an diesen Zuständen gibt es seit Jahrzehnten. „Die Schule hat unsere Trikots verkauft, der Trainer hatte einen eigenen Ausrüstervertrag über 300.000 Dollar, und wir durften uns nur jeder ein Paar Schuhe und zwei Flaschen Saft nehmen“ – so beschreibt der ehemalige Basketball-Spieler Chris Webber seine Zeit an der University of Michigan. Webber sah sich als Sklave in Basketballschuhen. The stage is set. #FinalFour #NCAA #MarchMadness #Basketball #Gonzaga #Oregon #UNC #SouthCarolina Ein Beitrag geteilt von NCAA (@ncaasports) am 30. Mär 2017 um 13:01 Uhr Sein Fall ist besonders dramatisch. Als Webber für die University of Michigan auf Korbjagd ging, war er der beliebteste Mann auf dem Campus. Sein blutjunges Team, genannt Fab Five, sorgte mit seiner spektakulären Spielweise für Jubelstürme. Doch 2002, neun Jahre nach seinem letzten Spiel für Michigan, tilgte sein College jede Erinnerung an ihn. Webber hatte Geld angenommen. Jahrelang. Ein sogenannter Booster, ein besonderer Freund der Universität, hatte Webber schon Geld zugesteckt, als der noch in die achte Klasse ging. Webbers Familie war bettelarm, er brauchte jeden Cent. Als die Affäre ans Licht kam, erkannte der College-Verband der University of Michigan jeden Titel ab, den sie mit Webber gewonnen hatte. Die Team-Banner in der Sporthalle wurden abgehängt, Webber durfte nicht einmal mehr die Halle betreten. Der Universität wurde jeglicher Kontakt mit Webber untersagt – für zehn Jahre. Der Basketball-Film "Spiel des Lebens" zeigt die Abgründe des Sports Trotzdem hatte Webber Glück. Nach dem College unterschrieb er einen mit mehr als 74 Millionen Dollar dotierten Vertrag in der Profiliga NBA. Das Problem: nur einer von 50.000 High-School-Basketballspielern kann sich diesen Traum erfüllen. Die allermeisten erwirtschaften für ihre Colleges Millionen und stehen danach vor dem Nichts. Einer der größten Kritiker dieses Systems ist Spike Lee. Der Regisseur ist glühender Basketballfan und drehte schon 1998 den Film „He Got Game“, in dem er den Weg eines jungen Basketballspieler durch die Abgründe des Sports zeigt. „Die ganze Sache ist eine Gaunerei“, meinte Spike Lee bei der Vorstellung. „Jeder verdient daran. Die Colleges, die Trainer, die Fernsehkommentatoren, sogar die Busfahrer, die die Teams transportieren. Nur die Spieler selbst sollen nichts kriegen?“ https://youtu.be/ITMUzKPNgFo Im Video: Trailer zum Film "He Got Game" (Spiel des Lebens) Tatsächlich ist es den Spielern offiziell verboten, auch nur ein Trinkgeld anzunehmen. Die Regelwut geht so weit, dass sich manche Trainer weigern, ihre Schützlinge im Auto mitzunehmen, nur um nicht gegen eine der vielen Vorschriften zu verstoßen. Abgesehen von ihrem Stipendium und kostenlosen Turnschuhen gehen die Aktiven also leer aus. Auch haben sie keine Möglichkeit, sich etwas nebenher zu verdienen. Wenn sie nicht gerade Unterricht haben, werden sie vom Trainer gescheucht. Mehrfaches Training pro Tag ist üblich. +++ Außerdem bei Orange: Wie können sich amerikanische Studenten eigentlich ihr Studium leisten? +++ Der Trainer freilich verdient Millionen. John Calipari, Basketballtrainer an der University of Kentucky, hat ein Jahressalär von 7,1 Millionen Dollar. Football-Coach Jim Harbaugh von der University of Michigan bringt es auf neun Millionen. Selbst die Assistenztrainer verdienen siebenstellig. So ist ein Gefüge entstanden, in dem viele junge Männer mit ihren athletischen Fähigkeiten für ein Millionen-Geschäft arbeiten, ohne je einen Cent davon zu sehen. Ein guter Nährboden für Betrug und Korruption. Marcus Camby war einst der Star an der University of Massachusetts „Jeder versucht, auf deinen Zug aufzuspringen“, erklärt Ray Allen. Der ehemalige NBA-Star spielt in „He Got Game“ selbst die Hauptrolle und durchläuft in dem Film eine Odyssee von Versuchungen. Sein High-School-Trainer, Sportagenten, sein Onkel, ja selbst seine Freundin versucht, sich etwas von dem Kuchen abzuschneiden, der noch gar nicht gebacken ist. Allen verriet, wie nah Fiktion und Wirklichkeit beieinanderliegen. „Die Leute wollen unbedingt etwas für dich tun, weil sie glauben, sie kriegen es später zehnfach zurück.“ Einblicke in diese Praxis gab es in der Vergangenheit immer wieder. Marcus Camby war einst Star an der University of Massachusetts, später in der NBA. Dem 2,11 Meter langen Spieler stand eine glorreiche Zukunft bevor, und in seinem Fall nahm die Jagd der Opportunisten besonders bizarre Formen an. „Es gab Situationen, da sagten mir Leute, ich solle ihnen zu den Waschräumen folgen, und dort gaben sie mir dann Geld“, berichtete sein bester Freund Tamia Murray einmal den US-Medien. Murray und Camby nahmen die Geschenke an. Am Ende flog alles auf – ein PR-Debakel für die Universität. Nun steht ein neuer Skandal an, möglicherweise der größte, den es je gab. Das amerikanische FBI hat vier Assistenztrainer festgenommen. Sie arbeiten für die Sport-Elite-Einrichtungen in Arizona, Auburn, Oklahoma State und für die University of Southern California (USC). Alle vier Trainer sollen Bestechungsgelder angenommen haben, um Spieler aus ihren Teams bestimmten Sportagenten zuzuführen. Solche Agenten verdienen mit der Vermittlung von Profi-Verträgen Millionen. Adidas verspricht Kooperation mit den US-Behörden So groß die involvierten Namen sind, es mag einen noch größeren treffen. Zu den weiteren Beschuldigten in dem Verfahren gehört ein Mitarbeiter der University of Louisville. Dort steht seit 2001 Rick Pitino an der Spitze des Basketballteams. Der Mann wurde schon 2013 in die Hall of Fame des Basketballs aufgenommen, galt bislang als unantastbar. Ganz gleich, welche in Skandale Pitino in der Vergangenheit involviert war – er selbst fiel nie. +++ Hier bekommst du Orange kostenlos per Whatsapp! +++ 2010 kam heraus, dass Pitino einer Geliebten Schweigegeld zahlte. 2015 wurde sein Team für sieben Spiele gesperrt, weil Louisville Sexpartys für mögliche Spieler geschmissen hatte. Doch so schmutzig die Geschichten waren, Pitino blieb sauber – und ist mit 7,7 Millionen Dollar Jahressalär bestbezahlter College-Coach im US-Basketball. Jetzt aber ermittelt das FBI. Auf die Vergehen, für die Pitino Verantwortung tragen könnte, steht Gefängnis. Nun geschieht, was vorher undenkbar schien: Louisville hat Pitino gefeuert. Und mittendrin steht Adidas. Louisville gilt als Adidas-Universität. Erst vor wenigen Wochen gab der Sportartikelhersteller einen Deal mit Louisville bekannt. Deren Spieler werden zehn Jahre lang ausschließlich Schuhe und Trikots von Adidas tragen – dafür zahlt der deutsche Sponsor 160 Millionen Dollar. Zuletzt hatte das Unternehmen immer wieder große Pläne für den US-Markt angekündigt. Nach der Verhaftung des Managers James G. machte Adidas erstmal ein anderes Versprechen: volle Kooperation mit den Behörden. Der Autor: Sönke Iwersen ist Chef des Handelsblatt-Investigativ-Teams.