Facebook-Deutschland, die Jusos, die Medien: Alle schlagen auf den SPD-Chef ein. Trotz des Erfolgs in den Koalitionsverhandlungen. Wo bleibt der Respekt für Politiker? Deutschland hat einen neuen Volkssport: Politikerspott. Für das Satireportal „Postillon“ ist Häme das Mittel zum Geschäftszweck, insofern sei ihnen dieses verbale Foul gegönnt. Aber wie ist zu erklären, dass nur Stunden nach dem ersten Entwurf für einen Koalitionsvertrag nicht die Ergebnisse im Mittelpunkt der Öffentlichkeit stehen, sondern persönliche Kritik an Politikern im Allgemeinen – und an Martin Schulz im Besonderen? Martin Schulz auf Facebook: „eine Schande für die Sozialdemokratie“ Die Fakten: Schulz’ Partei hat mit gerade einmal 20,5 Prozent gleich drei wichtige Ministerien für eine mögliche GroKo Teil 3 ausgehandelt: Auswärtiges Amt, Finanzen und Arbeit. Der CDU bleibt da – übertrieben gesagt – nur noch die Kanzlerschaft. Und die SPD-Basis? Ist „fassungslos“. #NoGroko bedeutet nicht nur die Ablehnung eines Koalitionsvertrags (über den plötzlich niemand mehr spricht). #NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird. #SPDerneuern #fassungslos — Kevin Kühnert (@KuehniKev) 7. Februar 2018 Weil Martin macht, was er kurz nach der Wahl ausgeschlossen hat: Regierungsverantwortung übernehmen, auch persönlich, als Außenminister. Das alte realpolitische Bonmot „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“, gilt heute anscheinend nicht mehr. Ja, Martin Schulz ist umgefallen. Nicht einmal, nicht zweimal, sondern dreimal. Am 24. September, einen Tag nach der Bundestagswahl, schloss Schulz eine Neuauflage der Großen Koalition aus. Auch nach dem Scheitern der „Jamaika“-Koalition blieb der SPD-Chef dabei: Wir machen Opposition. Und jetzt macht auf Facebook das Video genüsslich die Runde, in dem Schulz folgenden Satz sagte: „In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten.“ Zwischen Ende September 2017 und Anfang Februar 2018 sind eine Menge Dinge passiert, deswegen hat Schulz offensichtlich seine Meinung geändert – und steht als Buhmann der Nation da. Wer verstehen will, warum junge Menschen kaum mehr Lust haben, in der politischen Öffentlichkeit zu stehen, sollte sich die Kommentare auf Martin Schulz’ Facebookseite anschauen. Ein Auszug der meistgelikten Ergüsse: „Schande für die Sozialdemokratie“, „unwählbar“, „lächerlich“, „verlogen“. Es geht noch persönlicher: „Lack gesoffen“, „erbärmlich“, „ein Hündchen von Angela Merkel“. Kritik an Martin Schulz ist einfach, wenn man keine Verantwortung übernehmen muss Und natürlich darf auch die Universalsprache des Internets nicht fehlen: zynisch. Martin Schulz senke mit seinem neuen Posten die Arbeitslosenquote in Würselen, schreibt ein gewisser Sebastian Hahn, der auf seiner Seite Bildchen von der Jungen Union München-Nord teilt. Und der „Haha“-Button läuft heiß. Bei aller angebrachten Kritik am Wortbruch des Martin Schulz: Der Mann tut mir leid. Wären wir im Mittelalter, würde er jetzt an irgendeinem Dorf am Pranger stehen. Die Tomaten klebten ihm Gesicht, Menschen stünden um ihn herum, zeigten mit dem Finger auf ihn und lachten. Immerhin wäre am nächsten Tag alles vorbei. Jetzt gibt es einen digitalen Pranger, wo statt faulen Eiern vergiftete Kommentare fliegen. Für immer gespeichert, für alle Welt sichtbar. Viel zu viele, um sich dagegen zu wehren oder gar wegzuducken. Soll Martin Schulz jeden einzelnen beantworten? Betonen, dass er in den vergangenen 365 Tagen, seitdem er für die SPD um die Kanzlerschaft ins Rennen ging, sicherlich nicht seine Lebenszeit dafür aufgebracht hat, um jetzt Hohn und Spott zu kassieren, abzudanken und als Loser vom Feld zu gehen? +++ Außerdem bei Orange: diese 7 Punkte aus dem neuen Koalitionsvertrag solltest du kennen +++ Auch das wäre zwecklos. Die Macht der Meute ist zu groß. Hass, Spott und Häme verbinden. Die Quelle sind Menschen, die es sich sehr einfach machen. Zu einfach. Juso-Chef Kevin Kühnert sieht Politik als Hobby. Und ist fassungslos über den SPD-Chef Mal eben einen Kommentar absetzen (Facebook-Nutzer). Fassungslos über die SPD sein, gegen die Entscheidung der Parteiführung mobil machen, ohne überhaupt Politiker werden zu wollen (Kevin Kühnert). Und von der warmen Redaktionsstube ein paar knackige Schlagzeilen verfassen, ohne je politische Verantwortung übernehmen zu müssen (Journalisten). SPD-Chef Martin Schulz soll/will Außenminister werden. Angesichts seiner bisherigen Wut-Kommentare zu Orbán, Polen, Briten, Trump, Putin, Kurz und Österreich wird er das Amt allerdings besser in Homeoffice führen. — Ralf Schuler (@drumheadberlin) 7. Februar 2018 Versteht mich nicht falsch: Ich bin nicht gegen Kritik. Aber am Anfang sollte immer Respekt stehen. Das Wort kommt übrigens aus dem Lateinischen und heißt nichts anderes als „Rücksicht“. Wenn wir Politikern keinen Respekt entgegen bringen, riskieren wir einen Fachkräftemangel, der unsere Demokratie gefährdet. Es ist fast wie ein Pranger im Mittelalter. Einer wird digital vorgeführt und pausenlos, zwar nicht mit Tomaten, aber mit Beschimpfungen beworfen. Mal ehrlich: Wer würde gerne so einen Job haben wollen?