In Japan gibt es Cafés, in denen Männer Frauen buchen – nicht für Sex, sondern zum Kuscheln. Eine Ex-Mitarbeitern erzählt von ihrem Job im Kuschel-Café: Anstarren kostet extra! In dem winzigen Zimmer steht ein Bett von Ikea, bezogen mit verspielt gemusterter Bettwäsche, die man in jedem herkömmlichen Haushalt finden kann. Die Wände schmücken Poster von japanischen Filmen und Comics, daneben hängen Anleitungen zur perfekten Fußmassage. Am Kopfende des Bettes sitzen Pokémon-Kuscheltiere, die wenigen Regale sind gefüllt mit Actionfiguren. Sogar ein kleiner Fernseher mit Spielkonsole findet Platz auf den wenigen Quadratmetern. Auf den ersten Blick könnte es das Zimmer eines Teenagers sein. Kuschel-Café in Japan: „Männer kommen nach der Arbeit zu uns“ Während sie mir von ihrem ehemaligen Arbeitsplatz erzählt, streicht Yui sich immer wieder durchs Haar. Sie ist eine hübsche junge Frau. Obwohl bereits Mitte 20 hat ihr Gesicht die weichen Rundungen eines Teenagers nicht verloren. Aus ihren Augen spricht Freundlichkeit, doch wenn sie sich abwendet, sieht man Schatten darunter. Yui heißt in Wirklichkeit anders, doch wir haben ihren Namen geändert, um ihre Identität zu Schützen. Denn sie arbeitete bis vor wenigen Monaten noch in einem Café der anderen Art. Ihr Arbeitsbereich? Schlafen, kuscheln, tiefgründige Gespräche – gemeinsam mit Kunden. Auf dem frisch bezogenen Ikea-Bett. "Soine-ya" nennen sich diese Etablissements in Japan, wörtlich übersetzt: “Geschäft, in dem man gemeinsam schlafen kann”. Oder kurz: Kuschel-Café. Es gibt einige davon im Land, vor allem in der Hauptstadt Tokio. „Jeder ist willkommen, egal ob Frau oder Mann, jung oder alt”, berichtet Yui, während sie in ihrer Kaffeetasse rührt. Mit einem Augenzwinkern mach sie deutlich, dass der Großteil ihrer Kundschaft allerdings männlich gewesen sei. https://www.youtube.com/watch?v=SUJkIhQXQwA Moderator Olli Schulz im Kuschel-Café: „Was darf's sein?“ Es sind keinesfalls nur zwielichtige Gestalten, die es in die Kuschel-Cafés zieht. Ein großer Teil von Yuis Kundschaft seien ganz normale Geschäftsmänner mittleren Alters gewesen, erzählt sie. Sie wollten einfach die private Zeit nutzen, um mit ihr zu reden. Auf meine Frage hin, über was man denn spricht, wenn man sich doch gar nicht kennt und trotzdem eng umschlungen auf einer schmalen Matratze liegt, antwortet Yui mit einem Lächeln: „Manchmal über ganz alltägliche Sachen wie das Wetter oder die neuesten TV Shows. Aber oft wird es auch persönlicher.“ Obwohl sie es nicht direkt ausspricht, wird mir schnell klar: Die Besucher von Kuschel Cafés sind einsam. Sie wollen mit jemanden sprechen, sich anvertrauen und dabei, wenn auch nur für kurze Zeit, die körperliche Nähe eines Menschen spüren, der ihnen zuhört. Japan ist ein Land der Gegensätze. Einerseits kennt man Japaner als zurückhaltendes, arbeitsames Volk, in dessen Kreisen gegenseitiger Respekt und Werte wie Disziplin, Höflichkeit und Abstand heilig sind. Andererseits leiden immer mehr Japaner darunter, dass sie menschliche Bedürfnisse wie Geborgenheit, Akzeptanz und Partnerschaft kaum noch in ihrem Leben erfahren. Die Folge: Einsamkeit und Unbehagen gegenüber dem anderen Geschlecht. 30 Minuten im japanischen Kuschel-Café kosten 50 Euro Ein Drittel aller jungen Japanerinnen kann sich nicht vorstellen, jemanden zu heiraten, der weniger als umgerechnet 44.000 Euro im Jahr nach Hause bringt. Zum Vergleich: Die Hälfte aller Haushalte in Deutschland hat weniger als 39.000 Euro im Jahr – für zwei Personen. In Umfragen erklärten 25 Prozent der Männer unter 24, dass sie kein Interesse mehr an sexuellen Kontakten, geschweige denn an einer Beziehung haben. +++ Außerdem bei Orange: Warum japanischen Männern Freundinnen zu teuer sind +++ Mittlerweile ist der Anteil der Singlehaushalte besonders in großen Städten wie Tokio oder Nagoya in die Höhe geschossen. Im Jahre 2015 stellten Statistiken der japanischen Regierung zufolge ein Drittel der Haushalte Singles ohne Partner oder eigene Familie dar, Tendenz mit jedem Jahr steigend. #Japan #households by #family type 1960-2015. Rise of the #one-person household, #childless #couples, #single parents, decline of 3-gen fams pic.twitter.com/KI42KcUM5U — Japan Stats (@japanstats) 4. Mai 2017 "Heiraten? Das kann ich mir noch lange nicht vorstellen. Das muss man sich erstmal leisten können. Außerdem genieße ich meine Freiheit", kommentiert Yui, als ich sie auf diese Problematik anspreche. Während ich als Deutsche noch niemals das Gefühl hatte, aus lauter Einsamkeit viel Geld für die bloße Anwesenheit eines anderen Menschen zu bezahlen, ist dieses Phänomen in Japan keine Seltenheit. Die Vorstellung, Geld für einen Service wie den des Kuschel-Cafés zu zahlen, wird für mich immer bizarrer, als Yui beginnt, über die Preise zu sprechen: Der Grundpreis ohne „zusätzliche Leistungen“ liegt bei umgerechnet 50 Euro pro Stunde, für das Geld darf man zunächst einmal Zeit mit einer Frau verbringen. Wer sich diese selbst aussuchen will, zahlt extra. Die meisten Kunden verbringen daher nur zwischen 30 Minuten und zwei Stunden im Lokal. Schläft man zu tief ein, kann es teuer werden – etwa 550 Euro für zehn Stunden. Zusätzlich zum Grundpreis buchen kann man Umarmungen und Berührungen á la Carte. Kuschel-Café in Japan: „Nur kuscheln, kein Sex.” Eine Fußmassage bekommt man beispielsweise für einen Aufpreis von zehn Euro. Teurer werden Optionen wie das Schlafen im Schoß der Gastgeberin (20 Euro), gegenseitiges Anstarren im Bett (zehn Euro für zwei Minuten) oder beruhigendes Kopfstreicheln (zehn Euro). https://www.youtube.com/watch?v=L2vU_N3mNwM CNN im Kuschel-Café: 13 Dollar für fünf Sekunden umarmen. Je mehr Yui erzählt, desto stärker drängt sich mir eine Frage auf. Ob neben den skurrilen aber doch harmlos klingenden Optionen auf der Karte auch andere Dienste angeboten werden, frage ich vorsichtig – darauf bedacht, die junge Frau nicht zu verärgern. Doch Yui lacht nur kurz und schüttelt den Kopf: "Nur kuscheln, kein Sex." Ihre Antwort sollte mich eigentlich beruhigen, doch ich komme einfach nicht umhin mich zu fragen, wie ein solch privates Arrangement funktionieren soll, ohne in die sexuelle Schiene abzurutschen. "Die meisten Männer, die uns besuchen, sind Singles. Sie kommen von der Arbeit und haben den Wunsch, einen stressigen Tag im Bett neben einer Freundin oder Frau ausklingen zu lassen, die sie nicht haben. Das ist der Moment, in dem wir einspringen." +++ Hier bekommst du Orange kostenlos per Whatsapp! +++ Zahlreiche junge Japaner strömen täglich ins Nachtleben der Metropolen, wo sich mittlerweile alle möglichen Arten von Service finden lassen, die die Einsamkeit vertreiben sollen. Im Stadtteil Sakae, Nagoyas Party-Meile, reihen sich zahlreiche Etablissements aneinander, die mit weit weniger Unschuld aufwarten als unser Kuschel-Café. Schillernde Leuchtreklame weist den Weg durch die Nacht zu Hostessen Clubs, in denen attraktive Frauen oder Männer den Gästen vorspielen, sie seien etwas ganz Besonderes, während diese ihr Erspartes in Champagner ertränken. Oft im selben Hochhaus untergebracht: Massage- und Entspannungsstudios, mit pinken Lettern ihren "Extra-Service" anwerbend, der dem Auge der Öffentlichkeit verschlossen bleibt. Und wagt man sich tiefer hinein ins Rotlichtviertel, stehen oft leicht bekleidete Gestalten in diversen Kostümen in den Gassen. Sie wollen willige Nachtschwärmer in Bars und Cafés der ganz anderen Art locken. „Im Kuschel-Café geben wir Kunden ein Stück Seelenfrieden“ Offiziell ist Sex für Geld in Japan seit dem Veranlassen des Anti-Prostitutions-Gesetzes von 1956 verboten. Allerdings wurden im Laufe der Zeit Schlupflöcher gefunden, welche die japanische Sexindustrie nutzt, um im Dunklen zu florieren. Jeglicher Service, der nichts mit dem sexuellen Akt selbst zu tun hat, ist nämlich erlaubt. Was sich anschließend hinter dem Eintauchen in die legale Grauzone abspielt, wird selten kontrolliert. So kursieren Geschichten in japanischen Online-Foren von Soine-ya Mitarbeiterinnen, die sich „privat“ nach der gemeinsamen Session verabreden, um außerhalb des Geschäftes Sex mit dem Kunden zu haben. Yui besteht darauf, nicht mit dieser Branche in Verbindung gebracht zu werden. "So etwas habe ich nie gemacht. Wir geben den Kunden ein Stück Seelenfrieden, mehr nicht." Spaß gemacht hätte Yui die Arbeit, erzählt die junge Frau, doch je älter sie wurde, desto mehr sehnte sie sich nach einer Beschäftigung, von der sie auch ihrer Familie erzählen kann. Diese weiß nämlich nichts von ihrem ehemaligen Job. „Und das wird auch so bleiben“, schließt sie das Gespräch, bevor wir uns verabschieden. Sie muss zurück zu ihrer Schicht. Mittlerweile arbeitet sie in einem normalen Café als Bedienung, ganz ohne private Räumlichkeiten und Männerköpfe im Schoß. Die Autorin: Tara Endries ist freie Journalistin und lebt in Nagoya, Japan. Mehr von Orange zu Japan: Zug fährt 20 Sekunden zu früh los – und die japanische Bahn entschuldigt sich Coca-Cola macht in Japan jetzt auch Alkopops