In Deutschland gibt es immer weniger Bäckereien. Und die, die noch da sind, müssen kämpfen. Unsere Autorin war in der Backstube und erlebte den Beruf für eine Nacht. Die Fußgängerzone im dörflichen Herbern liegt im Tiefschlaf. Alles ist dunkel, alles still. Nur in einer kleinen Gasse hört man geschäftiges Treiben. Von dort zieht sich ein Lichtschein wie ein gequältes Tier über die sonst ausgestorbene Straße. „Röwekamp“ steht in geschwungenen Lettern auf dem Ladenschild, zu dem die Gasse gehört. Um drei Uhr soll ich meine Schicht in der Bäckerei beginnen. Weniger Bäckereien in Deutschland: Ende 2017 gab es noch 11.300 Betriebe Betriebe wie Röwekamp sind selten geworden. Seit 2012 ist die Zahl der Bäckereien in Deutschland von 13.400 auf nur noch gut 11.300 gesunken, meldet der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Die, die noch da sind, machen aber mehr Umsatz. Der Verband Deutscher Großbäcker spricht von 20,1 Milliarden Euro im Jahr 2016. Aktuellere Zahlen gebe es nicht, doch die Tendenz sei seit Jahren steigend. Im vergangenen Jahr kaufte ein deutscher Haushalt im Schnitt etwa 44 Kilogramm Brot. Diese Zahlen gehen mir noch durch den Kopf, als ich mitten in der Nacht in der Backstube ankomme. Ich werde zurückhaltend, aber freundlich begrüßt. Noch sieht es so aus, als hätte man den Leuten, die hier arbeiten, die Müdigkeit wie mit einem Brandeisen unter die Augen gedrückt. Karl Röwekamp reicht mir eine Schürze. Ihm gehört der Laden nun seit zwölf Jahren. Dann führt er mich in die Backstube. Beruf Bäcker: Arbeitsbeginn um halb drei Uhr in der Nacht Aus dem Radio schallt laute Musik und vermischt sich mit dem mechanischen Singsang des Rührkessels. Im Mehlnebel stehen Nicola und Dominik und bearbeiten einen Dinkelteig, den die Maschine gerade wie ein übergroßes Kaugummi ausgespuckt hat. Fließbandarbeit. Abwiegen, kneten, rein in die Form. Die Uhr zeigt fünf nach drei. Um diese Zeit sind Bäckermeister Karl und Bäcker Thomas, der gerade fertige Brote aus dem Ofen zieht, schon lange auf den Beinen. Mit ihrer Schicht beginnen die beiden bereits, wenn die Uhr Mitternacht schlägt. Dann um halb drei bekommen sie knetkräftige Unterstützung von Nicola und Dominik. +++ Diese Ausbildungsberufe haben Zukunft und ein gutes Gehalt +++ „Wir müssen so früh anfangen, damit wir alles schaffen. Schließlich beliefern wir neben unserer zweiten eigenen Filiale auch noch ein Altenheim, einen Kiosk und diverse Edeka-Filialen.“ Dafür ist Dominik zuständig. Gegen vier Uhr verschwindet er aus der Backstube in den Lieferwagen. „Ohne diese externen Kunden könnten wir das Geschäft nur schwer halten“, erzählt mir Karl bei einer Tasse Kaffee. „Da müssten wir das Personal mindestens halbieren.“ Im Moment arbeiten insgesamt 20 Leute für den Geschäftsmann, davon sieben in der Backstube. Er führt den Laden gemeinsam mit seiner Frau, die heute vorne im Laden die Kunden bedient. Brötchen-Preise beim Bäcker steigen aus diesen Gründen Am Tag gehen rund 2.500 normale Brötchen über die Theke. Daran verdient die Bäckerei neben den hausgemachten Torten auch am besten, weil sie günstig in der Herstellung sind. Das sei aber bei jedem Bäcker so. Noch kostet eins 32 Cent. „Den Preis können wir aber nicht mehr lange halten. Andere Bäcker sind schon lange bei 35 oder 37 Cent. Die Kosten werden einfach immer höher.“ Das scheint Karl zu nerven. +++ Diese Gründer bringen Bäcker aufs Smartphone – für ein Stück vom Kuchen +++ Viel, so erklärt er mir, hänge mit dem Mehlpreis zusammen. „Der ist jetzt wieder gestiegen. Aber das hat nicht mal zwingend was mit der Ernte zu tun, die angeblich so schlecht ausgefallen ist. Das kann man gut mit der Stimmung an der Börse vergleichen. Wenn irgendeiner sagt „Oh, das gibt bald eine schlechte Ernte“, reagieren und verhandeln alle direkt. Dann schießt der Preis nach oben und wir zahlen für eine Tonne Mehl schon mal zehn Euro mehr.“ Sein Mehl bezieht Karl von einer Mühle in Soest - das ist ganz in der Nähe. Er legt viel Wert darauf, seine Zutaten regional einzukaufen. Alle zwei Wochen bekommt er 3,5 Tonnen Weizenmehl. Vom Roggenmehl braucht er nur einmal im Monat eine Tonne. Das Bäckergold lagert er direkt über der Backstube in drei Silos. Es liege aber nicht nur am Mehl selbst, dass Brötchen teurer würden. „Da spielen auch Strompreise, Wasser und Abwasser, Betriebs- und Personalkosten eine Rolle." Und natürlich die Mautgebühren. "Unsere LKW-Fahrer liefern das Mehl von Soest hierhin. Selbst auf der kurzen Strecke müssen die Maut bezahlen und die wurde kürzlich wieder erhöht." Das werde dann auch wieder auf den Mehlpreis aufgeschlagen. Die Großen könnten ganz andere Preise mit den Mühlen aushandeln, weil die viel größere Mengen abnehmen. So könnten die ihre Brötchen dann für 13 Cent anbieten. Das sei eben wie in der Landwirtschaft auch: "Die Großen werden immer größer und die Kleinen werden platt gemacht.“ Bäcker ist in Deutschland kein geschützter Begriff Mit den „Großen“ meint Karl Billigbäcker wie Backwerk oder Discounter wie Lidl und Aldi. Das Statistische Bundesamt bestätigt, was er sagt: Knapp 9.400 Bäckereien in Deutschland haben einen Umsatz von weniger als eine Million Euro. Damit machen sie nicht mal 15 Prozent des Gesamtumsatzes der Branche aus. Auf der anderen Seite spülen gerade einmal 43 Bäckerbetriebe jährlich mehr als 50 Millionen Euro in die Kasse und machen somit mehr als das Doppelte am Gesamtumsatz (32 Prozent) aus. Das Problem ist, so sieht es der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks, dass der Begriff „Bäcker“ nicht geschützt ist: „Unseres Erachtens gibt es nur die eine Bäckerei und zwar die, die in die Handwerksrolle eingetragen ist, also von einem Bäckermeister geführt wird. Leider schwimmen viele Konkurrenten aber auf dieser Welle mit und nennen sich ebenfalls „Bäckerei“ oder verkaufen ihre Industriebrötchen aus einer scheinbaren „Backstube“ als „Bäckerkrönung“. Das sei natürlich Quatsch, diese Backwaren hätten nie die Hand eines Bäckers gesehen. Deshalb setzt sich der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks seit Langem für einen gesetzlichen Schutz des Begriffs „Bäckerei“ ein. Damit will sie einen handwerklichen Qualitätsstandard sichern - und dafür sorgen, dass Kunden lieber bei einem richtigen Bäcker einkaufen als beim Discounter. Bäcker: Worin besteht der Unterschied zwischen einem Discounter und einer Bäckerei? Karl atmet auf. Er hat das Glück, dass er seine Bäckerei auf dem Land hat. „Direkt gegenüber hat mal so eine Billig-Bäckerei aufgemacht. Die Leute sind kopfschüttelnd daran vorbei gegangen und kamen Minuten später mit einer dampfenden Tüte bei mir aus dem Laden." Er habe in den vergangenen Jahren gemerkt, dass die Leute sich zurück auf’s Handwerk besinnen, sagt er. "Neunzig Prozent unserer Kunden sind Stammkunden.“ Ihm schade der Billigbäcker-Boom also nicht. Das Geschäft laufe gut. Trotzdem ärgert es ihn: „Ein Bäcker muss seinen Job mit Leidenschaft und Herzblut ausüben. In der Industrie laufen hingegen einfach nur 24 Stunden die Maschinen, die nicht von Bäckern, sondern von Hilfsarbeitern bedient werden. Klar, die sind ja auch günstiger. Aldi, Lidl und Co. werben damit, dass sie mehrmals täglich frisch backen. Dabei kriegen die nur Halbgebackenes oder Teiglinge aus einem Sammellager angeliefert. Die haben nicht einmal eine eigene Backstube.“ Das bestätigt mir auch der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks: Der größte Konkurrent seien die Supermärkte und Discounter mit ihren Backstationen und den niedrigen Preisen. Dieser Wettbewerb habe in den vergangenen Jahren zugenommen. "Viele bieten industriell hergestellte – meist vorgebackene - Tiefkühlbackwaren an, die der Verbraucher vermeintlich frisch kaufen kann.“ Ich frage bei Aldi, woher die Filialen ihre Brötchen beziehen - und erhalte keine Antwort. Brot und Brötchen: Zusatzstoffe sind unnötig, aber unbedenklich In der Backstube zeigt die Uhr inzwischen kurz nach fünf an. Mittlerweile sind alle Brote gebacken. Nicola und Tim belegen verschiedene Streuselkuchen. Tim, das ist der Sohn von Karl. Irgendwann will er das Geschäft übernehmen. Während er Vanillepudding aus einer Spritztülle auf den Teig drückt, klingelt der Ofen. Wieder eine Ladung fertig. Der süße Geruch von fertigem Kuchen bringt meinen Magen zum winseln. +++ Bei diesen Produkten schlagen Billigmarken teure Markenprodukte +++ Ich schaue mich um. Suche nach Dingen, die hier nicht hingehören. An der Backstation bei Aldi sind die Zutatenlisten ziemlich lang. Viele der Zusätze, die dort hineinkommen, klingen nach Chemieunterricht in der Oberstufe. „Ein Reinheitsgebot für Bäcker gibt es nicht. Jeder Handwerksbäcker hat seine eigenen Rezepte, die regional stark variieren können und teilweise von Generation zu Generation weitergetragen werden“, erklärt man mir beim Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks. Und auch, wenn für ein gutes Brot eigentlich Mehl, Wasser, Salz und Sauerteig ausreichen, seien die Zusätze nicht schädlich. Alles, was man in den Backwaren im Markt findet, darf dort auch hinein, erfahre ich. Dabei sind für vorverpackte Industriebackwaren wesentlich mehr Zusatzstoffe erlaubt als für lose verkauftes Handwerksbrot. Das Problem, so erklärt es mir Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg, sei die mangelnde Kennzeichnungspflicht. Deshalb wisse der Kunde beim Verzehr von Industriebrötchen oft gar nicht, was er da in sich hineinschaufelt. Für die Bäckerei Röwekamp ein No-Go. „Bei uns kommen keine Zusätze rein", sagt der Chef. "Unser Brot besteht nur aus Wasser, Hefe, Salz, Mehl und Sauerteig. Deswegen hält bei uns ein Brot auch nur drei bis vier Tage und nicht wochenlang wie bei der Industrie, die noch Konservierungsstoffe in den Teig pumpt.“ Beruf Bäcker: Wie hoch ist das Gehalt? Nicola drückt gerade den Teig in die Brötchenstraße. Hier werden in 40 Minuten 50 Kilo Teig zu Brötchen gerollt. „Das schönste am Bäckerberuf ist die Kreativität. Man kann sich ausprobieren. Demnächst probieren wir passend zum Herbst ein Kürbisbrot aus. Da freut man sich immer, wenn es am Ende schmeckt.“ Tim hat mitgehört: „Definitiv! Weißt du noch letztes Jahr? Unsere Mettzombies zu Halloween? Wir haben echt eine Menge Spaß hier.“ Beide lachen. Dann Stille. „Nicht so geil sind natürlich die Arbeitszeiten. Gerade im Sommer. Man ist halt immer der Erste, der nach Hause gehen muss, wenn man mit Freunden unterwegs ist“, erzählt Tim. Nicola nickt: „Da geh ich oft lieber gar nicht erst los.“ Gerade für sie als Frau sei es außerdem körperlich oft sehr anstrengend. Schließlich wiege so ein Teigklumpen schon mal 40 Kilo. Stundenlang Brotlaibe zu kneten geht auch in die Arme - das merke ich als Reporterin schon nach dem Dritten. Thomas, der die ganze Nacht am heißen Ofen arbeitet, nimmt es gelassen: „Nach zwölf Jahren habe ich mich an die Hitze gewöhnt.“ Dafür, so erzählt mir Karl später, kommt es schon öfter mal zu kleineren Schnitten oder Verbrennungen: „Nichts Wildes!“ Beruf Bäcker: Immer weniger Jugendliche wollen eine Ausbildung machen Es ist offensichtlich: Bäcker ist ein echter Knochenjob. Vielleicht ist das der Grund, weshalb immer weniger junge Leute diesen Beruf ausüben wollen. 2012 gab es laut des Verbands Deutscher Großbäckereien in der Branche noch 28.500 Azubis. Bis 2017 sank die Zahl um knapp 40 Prozent auf 17.300. Und wie hoch ist das Gehalt? „Für 39,5 Stunden pro Woche bekommt man als Geselle rund 2.100 Euro brutto", erklärt Tim. "Da gibt es aber noch eine große Spanne nach oben, je nachdem wie lange du schon dabei bist, welche Zusatzausbildung du hast oder, ob du am Ofen arbeitest oder nicht.“ Wie in fast allen Berufen hänge das Gehalt auch vom Bundesland und Geschlecht ab. Frauen verdienen im Durchschnitt weniger als ihre männlichen Kollegen. Kleinere Bäckereien zahlen außerdem oft besser als große. Wer zusätzlich noch seinen Meister macht, hat am Monatsende zwischen 2.500 und 3.500 Euro auf dem Konto. +++ Einfach erklärt: Was sind Brutto- und Netto-Gehalt? +++ In Anbetracht des offensichtlichen Bäckersterbens und des Machtkampfes mit den Billigbäckern stellt sich die Frage, warum Karl trotzdem den Mumm hatte, sich vor zwölf Jahren als Bäcker selbstständig zu machen. Er lacht. „Ganz einfach. Wir haben gedacht „Gerade jetzt!“ und uns von der Masse abgesetzt." Zuerst hätten sie fast alle Fertigprodukte aus dem Sortiment genommen. "Außerdem backen wir nur aus Hausfrauenkochbüchern und alten Rezepten." Bäcker: Was passiert mit dem Brot, das übrig bleibt? Ich rolle zum Abschied noch ein paar Croissants - Schoko, Natur und Käse - und ärgere mich, dass der Spaß bei Dominik wieder einmal leichter aussieht als er ist. Bevor ich meine Schürze falte, geht mir im Kopf noch eine Frage wie Hefeteig auf: „Karl, was macht ihr eigentlich mit den Backwaren, die abends noch übrig bleiben?“ +++ Christian holt Essen aus Mülltonnen. Obwohl das verboten ist. +++ „Einmal in der Woche kommt die Tafel und holt sich das ab, was noch gut ist. Alles andere wird geschreddert und das bringe ich dann zum Schweinebauern. Da sind Kohlenhydrate und Fette drin, das ist echt gut für die Schweine. Am Wochenende kommen auch oft Privatleute und holen sich was für ihre Pferde und Schafe ab. In die Biotonne kommen bei uns nur Eierschalen!“ Im schlimmsten Fall blieben am Tag rund zwei Körbe an Backwaren übrig. Relativ wenig. Tim erklärt mir auf dem Weg nach draußen, woran das liegt: „Wir sind nicht der Meinung, dass wir abends um halb sechs noch die Auslage voll haben müssen und jede Sorte anbieten können. Stattdessen bieten wir lieber Alternativen an und das nehmen die Kunden echt gut an.“ +++ Hier bekommst du Orange kostenlos per Whatsapp! +++ Als ich in mein Auto steige, nehme ich schnell einen Bissen von dem warmen Brötchen, das ich mir einstecken durfte. Ich fühle mich, als hätte ich drei Tage durchgefeiert. "Endlich Feierabend!" simse ich meinem Freund. "Guten Morgen", schickt er mir zurück. Mehr auf Orange über Berufe: Warum Michael seinen Job als Lkw-Fahrer liebt Ist der Beruf Koch wirklich ein Alptraum? Wir fragen einen Sternekoch. 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