Der Anfang von Angela Merkels Ende hat begonnen, schreiben viele Medien – weil ihr Vertrauter Volker Kauder als CDU-Fraktionschef abgewählt wurde. Doch der Machtverlust begann schon viel früher. (Artikel vom Handelsblatt) Über die erste Dezember-Woche in der CDU wird schon jetzt viel gesprochen. Beim Bundesparteitag vom 6. bis 8. Dezember in Hamburg wird der gesamte Bundesvorstand neu gewählt – inklusive der Parteispitze. Die spannende Frage: Wird Angela Merkel noch einmal als Parteichefin kandidieren? Die überraschende Wahl von Ralph Brinkhaus zum Chef der Bundestagsfraktion hat die Zweifel daran wachsen lassen. Die Niederlage ihres Vertrauten Volker Kauder bringt die Kanzlerin in ihrer vierten und wohl letzten Legislaturperiode in eine unangenehme Lage. Doch so plötzlich kommt ihr Machtverlust nicht. Sieben Ereignisse aus den vergangenen zwei Jahren verdeutlichen, wie Merkel immer mehr Rückhalt verloren hat. 1. Angela Merkels Niederlage bei der doppelten Staatsbürgerschaft Beim CDU-Parteitag Anfang Dezember 2016 in Essen läuft es eigentlich glatt für die Kanzlerin. Mit 89,5 Prozent erhält sie für CDU-Verhältnisse kein überragendes, aber ein ordentliches Ergebnis. Dennoch verlässt sie den Parteitag angeschlagen. Kurz vor Ende des Delegiertentreffens erhält ein Antrag der Jungen Union zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft – gegen den Willen Merkels - eine knappe Mehrheit. Die kommt auch deshalb zustande, weil ihr Parteikollege Jens Spahn in einer umjubelten Rede dafür wirbt. https://www.youtube.com/watch?v=0ZlLdTDSN6s Rede von Jens Spahn: „Jetzt fühle ich mich doch nochmal ermuntert...“ Die Kanzlerin reagiert trotzig. In einem Interview kündigt sie an, den Beschluss in der Legislaturperiode nicht mehr umsetzen zu wollen. In der Partei gibt es den Tagen und Wochen darauf viel Murren über ihre Reaktion. Es ist kein guter Ausklang des Jahres vor dem wichtigen Wahljahr. 2. Merkels Ärger mit Horst Seehofer – Teil 1 Als Merkel und Horst Seehofer am 6. Februar in München zur Pressekonferenz laden, soll es eine Art Friedensgipfel sein. Seit Sommer 2015, dem Beginn der Flüchtlingskrise, macht der CSU-Chef der Kanzlerin das Leben schwer. Er attackiert ihre Politik, attestiert ihr sogar eine „Herrschaft des Unrechts“. Über Monate streiten beide über die Einführung einer Obergrenze. Rechtzeitig zur Bundestagswahl wollen sich beide jedoch zusammenraufen. Aber beiden ist anzusehen, wie schwer es ist, Harmonie zu produzieren, wo keine ist. Es ist ein blutleerer Auftritt zur falschen Zeit. Denn während CDU und CSU um Einheit ringen, umjubelt die SPD ihren Kandidaten Martin Schulz. Die Euphorie und die starken Popularitätswerte ihres frisch gekürten Kanzlerkandidaten führen die Sozialdemokraten innerhalb weniger Wochen in den Umfragen auf mehr als 30 Prozent. Die Deutschen wollen nach 13 Jahren Merkel etwas Neues – in diesen Tagen sieht es zumindest so aus. 3. Das Ergebnis der Bundestagswahl Der Höhenflug der SPD endet schnell, aber wie eine strahlende Siegerin steht Merkel nicht da an jenem 24. September 2017. Die Union holt nur rund 33 Prozent und fährt damit ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ein. Und nicht nur das: Die rechtskonservative AfD zieht mit 12,6 Prozent als drittstärkste Fraktion ins Parlament ein. SPD-Chef Schulz verkündet noch am Abend den Gang in die Opposition. CDU/CSU haben ihr historisch zweitschlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl erzielt - nur 1949 lag die Union niedriger. #BTW17 pic.twitter.com/ezU5xSenGr — tagesschau (@tagesschau) 24. September 2017 Am Morgen nach der Wahl legt Merkel einen Auftritt hin, der auch in ihrer eigenen Partei lange nachhallt. Als sie auf einer Pressekonferenz auf das Wahlergebnis und mögliche Fehler angesprochen wird, erwidert sie kühl: „Ich kann nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssen.“ 4. Das Scheitern von Jamaika schwächt Angela Merkel Die Regierungsbildung ist mühsam. Fast zwei Monate nach der Wahl erklärt FDP-Chef Christian Lindner die Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition für gescheitert. In den wochenlangen Gesprächen beharken sich vor allem CSU, Grüne und die Liberalen. https://www.youtube.com/watch?v=exAKAv-SnR8 FDP-Chef Christian Lindner erklärt das Aus von „Jamaika“: „Trendwenden waren nicht erreichbar.“ Aber wenn es um die Gründe für das Platzen von Jamaika geht, verweisen Politiker aller drei Parteien auch auf die Kanzlerin. Sie hätte es versäumt, in den Gesprächen die verschiedenen Interessen zusammenzuführen und einen gemeinsamen Überbau zu finden. Merkel, in dieser Zeit nur Chefin einer geschäftsführenden Regierung, braucht nun doch die SPD, der sie Wochen zuvor mangelnde Regierungsfähigkeit bescheinigt hat. 5. Die ungeliebten GroKo-Kompromisse Die Sozialdemokraten hadern, entscheiden sich in einem Mitgliederentscheid Anfang März 2018 jedoch für ein Bündnis mit der Union. Die Neuauflage der Große Koalition steht und damit auch die Basis für vier weitere Jahre im Kanzleramt. Dafür muss Merkel der SPD jedoch viel geben. Dass die Genossen künftig für Finanzen, Außen sowie Arbeit und Soziales zuständig sein sollen, verärgert viele in CDU und CSU. „Die Verteilung der Ressorts lässt jede Ausgewogenheit vermissen“, sagt Unions-Fraktionsvize Carsten Linnemann. Das sei bitter und werde „lange in den Kleidern bleiben“. Den Unmut in den eigenen Reihen bekommt Merkel zu spüren. Am 14. März wird sie erneut zur Regierungschefin gewählt – aber nur mit einer Mehrheit von neun Stimmen. Die Kanzlerin erhält 35 Stimmen weniger als die Koalitionsparteien Abgeordnete hat. Viel spricht dafür, dass auch einige Politiker aus CDU und CSU sie nicht wählen. 6. Ärger mit Horst Seehofer – Teil 2 Fast ein halbes Jahr nach der Bundestagswahl steht die Koalition endlich. Aber nur kurz kehrt so etwas wie Ruhe ein. Horst Seehofer ist jetzt zwar Innenminister, der Konflikt zwischen Merkel und dem CSU-Chef ist damit jedoch nicht beendet. Mitte Juni eskaliert der Streit mit Seehofer erneut. Der droht damit, auch gegen den Willen der Kanzlerin Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen. Die Mehrheit der Unionsfraktion teilt die Position des Innenministers, Merkel bleibt jedoch stur. +++ Außerdem bei Orange: Der sogenannte Asylstreit ist das Ende der Alternativlosigkeit +++ Anfang Juli einigen sich die Kanzlerin und ihr Minister auf einen Kompromiss. Ein paar Wochen später gibt es wieder Ärger. Nach den rechtsextremen Ausschreitungen in Chemnitz widerspricht Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen in einem „Bild“-Interview der Kanzlerin öffentlich und löst damit viel Kritik aus. Verfassungsschutz-Chef Maaßen - „Keine Information über Hetzjagden“ https://t.co/2pYRJ0EBAO — BILD (@BILD) 6. September 2018 Die Sozialdemokraten fordern Maaßens Entlassung, Seehofer will ihn jedoch halten. Merkel lässt den Streit lange laufen. Mit SPD-Chefin Andreas Nahles und Seehofer einigt sich die Bundeskanzlerin schließlich darauf, Maaßen abzuberufen. Er soll Staatssekretär im Innenministerium werden und wird damit faktisch befördert. Die Entscheidung löst in der Öffentlichkeit Empörung aus, die Beförderung wird schließlich zurückgenommen. In der Kritik steht nicht nur Seehofer, der an Maaßen festhalten will, sondern auch Merkel. Hat die Kanzlerin nach 13 Jahren das Fingerspitzengefühl verloren? Warum lässt sie sich von ihrem Innenminister so vorführen? Und wieso lässt sie die Dinge so lange einfach laufen? Darüber wächst auch bei Abgeordneten in der Union der Ärger. 7. Volker Kauders Abwahl Am 25. September kann jeder sehen, wie angekratzt Merkels Autorität ist. In der Sitzung der Unionsfraktion steht ein wichtiger Termin auf der Tagesordnung: die Wahl des Fraktionsvorsitzenden. Ein paar Wochen zuvor ist überraschend die Kandidatur des CDU-Abgeordneten Ralph Brinkhaus bekannt geworden. Mitbewerber um dieses Amt sind in der Partei eigentlich nicht üblich. Merkel und auch die Führung der CSU erklären ihre Unterstützung für Volker Kauder. Der ist genauso lange Fraktionschef wie Merkel Kanzlerin und hat ihr in den 13 Jahren schon in vielen schwierigen Situationen Mehrheiten beschafft. Eine Stimme für ihn ist eine für Merkel – Kauder verpasst dennoch – oder deswegen – die Mehrheit. 125 Stimmen entfielen auf @rbrinkhaus, damit ist er der neue Vorsitzende unserer Fraktion. Erste Gratulanten: Angela Merkel, Volker Kauder und Horst Seehofer. Wir schließen uns den Glückwünschen an. pic.twitter.com/YtP2rKVK6a — CDU/CSU (@cducsubt) 25. September 2018 Brinkhaus ist krasser Außenseiter, verfügt in der Partei über kein großes Netzwerk und setzt sich trotzdem durch. Nicht nur für Kauder, sondern auch für die Kanzlerin ist es eine herbe Schlappe. Viele sprechen von einem Aufstand. In der Bevölkerung ist Merkels Popularität noch immer groß, aber ihr Ansehen in den eigenen Reihen ist angeschlagen. Der Sieg von Brinkhaus ist ein Alarmsignal, er zeigt, dass Merkel auf die uneingeschränkte Solidarität der Partei nicht mehr vertrauen kann. Ist Angela Merkel am Ende? Die Kanzlerin dürfte sich deshalb gut überlegen, ob sie im Dezember nochmal für den CDU-Vorsitz antritt oder lieber nicht. Ein Rückzieher könnte ihr als Schwäche ausgelegt werden, ein schlechtes Ergebnis beim Parteitag ebenso. Beides birgt Risiken, aber die Kanzlerin hat einen Vorteil: Noch hat Merkel alles in der eigenen Hand. Der Autor: Christian Rothenberg hat Politikwissenschaften studiert und ist Redakteur beim Handelsblatt. 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