Städte wie Hannover und Augsburg empfehlen, bei der Sprache alle Geschlechter zu berücksichtigen. Viele finden das verrückt, unsere Autorin dagegen hält diesen Wandel für völlig normal. Ein Kommentar. „Hannover schafft den Lehrer ab“, titelte vergangene Woche die Welt – und die Bild berichtet ein paar Tage später, dass es den „Gender-Gaga“ jetzt auch in Augsburg gebe. „Gender-Unsinn“, urteilt die AfD – und FDP-Politiker Wolfgang Kubicki schreibt von „Einfalt statt Vielfalt“. In den tausenden Facebook-Kommentaren zu solchen Beiträgen kommen häufig Wörter wie „absurd“, „krank“ oder „lächerlich“ vor. Geschlechtergerechte Sprache: Kritik ist dein Problem, Mann! Warum all die Aufregung? Alles begann in Hannover: Die Verwaltung der niedersächsischen Hauptstadt hat eine neue "Empfehlung für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache" herausgegeben. Die Broschüre (PDF hier) gibt „verbindliche Empfehlungen für sämtlichen Schriftverkehr“ der Verwaltung, dazu gehören Mails, Pressemitteilungen, Flyer und Formulare. Die wichtigste Grundregel sei, überall da, wo es möglich ist, „geschlechtsumfassende Formulierungen zu verwenden“. Wie das aussehen soll, zeigen vier Seiten mit acht konkreten Anwendungsfällen: Anschreiben: Statt „Frau und Herr Schulz“ besser „Familie Schulz“ oder einfach die Vornamen Kollektiv: aus der „Unterstützung eines Kollegen“ wird die „kollegiale Unterstützung“ Geschlecht von Institutionen: Die Kirche ist nicht mehr „Arbeitgeber“, sondern „Arbeitgeberin“ Sitzungen: „Redepult“ statt „Rednerpult“ Formulare: Die „antragstellende Person“ ersetzt den „Antragsteller“ Verben statt Substantive: „Ansprechpartner“ ist bald einfach jemand, „der oder die Auskunft gibt“ Pronomen: „keiner“ soll künftig „niemand“ sein, damit sich alle (und nicht nur jeder) angesprochen fühlen Mehrzahl: Aus „Lehrern“ werden „Lehrende“ Bei komplizierteren Fällen soll der „Genderstar“ Abhilfe schaffen, wie beispielsweise im Wort Kolleg*innen. Nicht nur in Hannover müssen städtische Angestellte künftig auf geschlechtergerechte Sprache achten. Wie mehrere Medien berichten, gibt es auch im bayerischen Augsburg neuerdings eine „Arbeitshilfe für die Verwendung geschlechtersensibler Sprache“. Demnach will die Stadtverwaltung in ihren Schreiben, Veröffentlichungen und Dokumenten in Zukunft männlich geprägte Begriffe wie Fachmann, Teamleiter oder Mannschaft ersetzen. Außerdem soll es statt „Mütterberatung“ bald „Elternberatung“ heißen. Die Stadt Augsburg bekenne sich „zur Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen und Männern“, erklärte Oberbürgermeister Kurt Gribl (CSU) in der "Arbeitshilfe". Dazu gehöre ein „geschlechtersensibler Sprachgebrauch“. Klingt doch eigentlich sinnvoll, finde ich. Trotzdem regen sich so viele (vor allem männliche) Personen auf. Die Frage ist: Warum machen sprachliche Veränderungen so vielen von uns eigentlich so große Angst? „Bald darf man gar nichts mehr sagen“, lautet einer von vielen Facebook-Kommentaren zur aktuellen Debatte. Mich erinnert es an die altbekannte Stammtischparole „das haben wir schon immer so gemacht“. Dabei hat die Sprache vor allem eine Sache schon immer so gemacht: sich stetig zu verändern. Geschlechtergerechte Sprache: Der Wandel passt sich der Realität an! Die Rechtschreibreform aus dem Jahr 1996 war und ist die Grundlage dafür, wie wir deutsche Wörter heute schreiben. Diese Grundlage hat der Rat für deutsche Rechtschreibung seitdem zwei Mal geändert (2004 und 2006) und zwei weitere Male aktualisiert (2011 und 2017). Die ursprünglichste Version des Dudens aus dem Jahr 1880 umfasst 27.000 Wörter. Mittlerweile sind es schon 145.000. Seit der Entstehung des deutschen Wörterbuchs vor knapp 139 Jahren hat sich die Zahl der Wörter also mehr als verfünffacht. Allein im Vergleich zur Fassung aus dem Jahr 2013 kamen bei der aktuellen Version 5.000 neue Wörter hinzu. Klar ist also: Sprache verändert sich – und das ist auch gut so. Die Stadtverwaltung hat heute eine neue "Empfehlung für eine geschlechtergerechte Verwaltungssprache" herausgegeben. Sie trägt der Vielzahl geschlechtlicher Identitäten Rechnung: https://t.co/JX9y4cwJvd pic.twitter.com/6z4IUMywj8 — Stadt Hannover (@hannover) 18. Januar 2019 „Aber irgendwie ist es auch spannend, dass der ein oder andere Mann auf dieses Thema so intensiv und gereizt reagiert“, schreibt eine Nutzerin auf Facebook. Eine andere kommentiert, dass sie nicht verstehe, warum man sich über eine Version der Sprache aufrege, die alle Menschen miteinschließt. Spiegel Online muss seine Nutzer unter dem Facebook-Beitrag auf angemessene Umgangsformen hinweisen. Warum fühlen sich so viele von der Debatte provoziert? Ein Blick in meine Vorlesung zum Thema Sozialpsychologie verrät mir mehr. Auf der ersten Seite stehen dort drei grundlegende Prinzipien der menschlichen Informationsverarbeitung: Konservativismus: Einstellungen sind schwer zu verändern Verarbeitungstiefe: Meistens stecken Menschen nicht sonderlich viel Aufwand in das Verarbeiten von Informationen Zugänglichkeit: Informationen, die ich mir leicht ins Gedächtnis rufen kann, beeinflussen mich am stärksten Seite zwei handelt von der Motivation: Die Wertschätzung der eigenen Person und der Gruppe, der man angehört, treibt den Menschen an. In dieser Grundlagenvorlesung finde ich meine persönliche Antwort zur Genderdebatte. Gender-Sprache: Wortwahl beeinflusst unsere Wahrnehmung Es wird immer Leute geben, die sich benachteiligt fühlen. So und so ähnlich liest man es unter solchen Facebook-Beiträgen. Aber ist das wirklich so? Und können wir die Diskussion damit beenden, obwohl wir doch wissen, dass die Worte, die wir wählen, nachweislich einen Unterschied darin machen, wie wir denken und handeln? Im Kurs „Massenmedien“ habe ich in meinem Auslandssemester in Australien zum ersten Mal von der „Sapir-Whorf-Hypothese“ gehört. Demnach beschäftigen sich Psychologie und Medienforschung vor allem mit der Frage, ob Sprache unser Denken bestimmt – oder nur beeinflusst. Klar ist: Wortwahl und Grammatik beeinflussen unsere Wahrnehmung und damit unser Leben. Darauf deuten psychologische Studien hin. Unklar ist nur, in welchem Ausmaß. Wer mir jetzt unterstellen will, dass dies nur Ausgeburten meiner feministischen Ideologie sind, den muss ich enttäuschen. Denn etliche Studien legen nahe, dass Sprache weder neutral, noch unwichtig ist. Und dass Wörter, die wir verwenden, unbewusst unser Verhalten beeinflussen. Forscher der Universität Aberdeen zeigten beispielsweise in einer Studie, dass Versuchspersonen sich nach vorne neigen, wenn sie von der Zukunft sprechen – und nach hinten, wenn sie von der Vergangenheit reden. Eine andere Studie aus dem Jahr 1974 fand heraus, dass Augenzeugen von (nie da gewesenen) Glassplittern am Unfallort berichten, wenn sich die Frage nach dem Unfallhergang ändert: von „Was sahen Sie, als sich die zwei Autos berührten?“ in „Was sahen Sie, als die zwei Autos gegeneinander schmetterten?“. Du siehst: Ein einziges Wort kann sehr viel verändern. Dazu kommt: Vieles von dem, was heute normal ist, wurde früher belächelt und abgelehnt. Vor mehr als 100 Jahren das Frauenwahlrecht und noch vor einem Jahr die gleichgeschlechtliche Ehe. Während sich die Nutzer auf Facebook fragen, ob Hannover nicht andere Probleme habe, könnten sie sich diese Frage auch selbst stellen: Ist sprachliche Vielfalt wirklich (m)ein Problem? Mehr Sprachkritik von Orange: Warum die deutsche Nationalhymne weiblicher klingen sollte Lieber Langenscheidt-Verlag: Hört auf, unsere Sprache zu manipulieren! Diese neuen Wörter musst du kennen