Wofür brauche ich eigentlich einen festen Wohnsitz? Das hat sich Christoph Heuermann gefragt. Jetzt reist er um die Welt und zahlt kaum noch Steuern. Wie das geht, erklärt er im Interview. Wenn du als Single mehr als 4525 Euro im Monat verdienst, zahlst du in Deutschland den Spitzensteuersatz. Das bedeutet: Von jedem weiteren Euro, den du brutto an Gehalt bekommst, gehen 42 Cent an den Staat. Steueraufkommen in Deutschland 2018 soll auf 713 Milliarden Euro steigen Und da kommt einiges zusammen. Für 2018 rechnet das Bundesministerium der Finanzen mit einem Steueraufkommen von insgesamt knapp 713 Milliarden Euro – so viel wie nie zuvor. Christoph Heuermann macht da nicht mehr mit. Er zahlt hierzulande keine Steuern mehr. Nach seinem Studium hat er sich in Deutschland abgemeldet, um zu reisen. Mittlerweile war er in 117 der von der UN anerkannten 193 Länder. In 15 Ländern hat er einen Wohnsitz oder eine Firma angemeldet. Deutschland zählt nicht dazu. Auf seiner Webseite Staatenlos schreibt er über sein Leben. Als wir telefonieren, ist der 28-Jährige gerade in Roatán, einer Honduras-Insel in der Karibik. Der Empfang ist gut, das Rauschen im Hintergrund kommt von den Wellen. Christoph, du nennst dich „Staatenlos“. Heißt das, du hast keine Staatszugehörigkeit? Den Namen habe ich bewusst gewählt, weil er verwirrt. Ich habe immer noch die deutsche Staatsbürgerschaft und den deutschen Reisepass. Mit Staatenlos ist eher eine Art mentale Staatenlosigkeit gemeint. Dass man sich nicht an ein Land bindet, sondern kosmopolitisch unterwegs ist und Vorteile in verschiedenen Staaten ausnutzt. Komplett staatenlos zu werden ist als Deutscher aber gar nicht möglich, das verbietet das UN-Recht. Wohnsitzlos trifft es vielleicht eher. Du hast keinen Wohnsitz angemeldet? Ich war in Deutschland drei Jahre lang wohnsitzlos. Bei der aktuellen Rechtslage geht das, du musst dich eigentlich nur abmelden. Dann habe ich mir wieder Wohnsitze geholt, in Panama und in Paraguay. Dort bin ich gemeldet, dort habe ich meinen Personalausweis, meinen Führerschein und so weiter. In Deutschland bin ich bis heute komplett abgemeldet. In Panama und Paraguay kann man sich einfach so anmelden? Es gibt drei verschiedene Wohnsitzarten auf der Welt. EU-Bürger, die sich irgendwo in der Europäischen Union anmelden, brauchen eigentlich nur einen Mietvertrag. Außerhalb der EU hast du die Einwanderungsbedingungen, die dir die Staaten vorgeben. Und wenn du Unternehmer bist, hast du oft spezielle Programme, in denen du vor Ort eine Firma gründest oder als Investor auftrittst und dann das Aufenthaltsvisum bekommst. In Panama und Paraguay ist das im weltweiten Vergleich sehr einfach. In Paraguay muss man zum Beispiel nur 5.000 Euro auf ein Konto einlegen. Dein Lebenskonzept ist „Perpetual Travelling“, ständiges Reisen. Wie kann das funktionieren? Da muss ich wieder auf Panama und Paraguay zurückkommen. Diese Länder habe ich ausgewählt, weil sie einen nicht verpflichten, dort zu leben. Die meisten Staatenlosen haben das Problem, dass dieser Lebensstil so nie bewusst erschaffen wurde. Die internationalen Gesetze gehen davon aus, dass du immer mindestens ein halbes Jahr an einem Ort lebst. Länder wie Panama und Paraguay sagen: Du kannst hier deinen Wohnsitz haben, musst aber nicht zwingend hier sein. Sie sind deswegen besonders attraktiv. Bist du wirklich nur unterwegs oder auch mal mehrere Monate an einem Ort? Ich bin ein bisschen auf Rekordjagd. Bis ich 30 bin, will ich alle Länder der Welt bereist haben. Das sind noch zwei Jahre und das schaffe ich auch. Danach werde ich es sicher ein bisschen langsamer angehen. Langfristig stelle ich mir vor, meine vier, fünf Orte auf der Welt zu haben, an denen ich immer mehrere Monate bleibe. Aber im Moment ist das ein sehr schnelllebiger Lebensstil. Wie verdienst du denn das Geld, um diese ganzen Reisen zu finanzieren? Das geht vor allem über meine Webseiten. Mein Reiseblog, meine Staatenlos-Webseite, die es mittlerweile in mehreren Sprachen gibt. Ich habe mir einen Namen gemacht im Perpetual Travelling. Ich habe mit Beratungen angefangen, telefonisch oder persönlich, wenn es gerade passt. Im Moment versuche ich zunehmend, passives Einkommen zu erzielen: Videokurse, Bücher, Investments, ich mache viel im Marketing. Mittlerweile habe ich Kontakte zu Steuerberatern und Anwälten rund um die Welt, damit alles, was ich den Leuten rate, auch umgesetzt werden kann. Und, damit es legal ist? Genau. Alles, was ich mache, ist legal. Die Sache ist: Der deutsche Steuerberater kennt sich gut in Deutschland aus, aber nirgendwo sonst auf der Welt. Heutzutage geht es bei einem Geschäft einfach oft um mehr als zwei Länder. Ich habe überall in etwa den Überblick. Aber vor allem habe ich in allen attraktiven Ländern meine Anwälte und Steuerberater sitzen, die die Leute dann im Detail beraten. https://www.youtube.com/watch?v=wfKdMgi14oY Video: Christoph erklärt seinen Lifestyle. Glaubst du denn an das Konzept Staat? Nein, ich persönlich glaube nicht mehr an das Konzept Staat. Ich bin im Verwaltungsstudium stark radikal-liberal und anarchistisch abgedriftet, war in Studienzeiten sehr aktiv in gewissen Organisationen. Ich würde mich als Anarchist, oder – wie man es genau sagt – als Anarchokapitalist bezeichnen. Das heißt, wir lehnen den Staat komplett ab und sind der Überzeugung, dass alle Staatsdienstleistungen auch privat organisiert werden können. Der Staat kann aber – dank Steuern – auch Gutes für seine Bürger tun. Zum Beispiel medizinische Versorgung, Sozialleistungen und Sicherheit garantieren. Das lässt sich doch nicht alles privat organisieren. Darüber kann man diskutieren. Viele sind auch nicht so radikal. Die sagen ganz klar, es muss schon noch einen Staat geben, der gewisse Funktionen ausüben kann: Außenpolitik, Sicherheit, Rechtssystem, Infrastruktur, ein bisschen Grundsicherung. Aber eben kein extremer Wohlfahrtsstaat, der umverteilt und bevormundet. Dafür müssten die Steuern auch nicht so hoch sein, wie sie sind. Ist das realistisch? Viele Länder weltweit zeigen, dass das geht und sind teilweise sehr erfolgreich damit, zum Beispiel Stadtstaaten wie Hongkong oder Singapur. Anarchokapitalisten kommen aus zwei Ecken: Die einen sagen, es ist per se unmoralisch, Steuern sind Zwang oder Gewalt. Die anderen sagen, am freien Markt geht es den Menschen besser als unter Staatssteuerung. Und welcher Ecke ordnest du dich zu? Ich würde mich beiden zuordnen. Für mich ist das ethisch, deshalb mache ich diesen Lifestyle. Ich lebe ein Leben, das möglichst freiwillig ist und möglichst wenig mit Zwang und Gewalt zu tun hat. Deinen Lifestyle lebt aber nur eine Minderheit. Kann das auch funktionieren, wenn jeder so lebt? Wenn jeder so lebt, dann würden unsere klassischen Systeme zusammenbrechen. Was ich will, ist eine langfristige Änderung. Entweder über Ideen, oder – das ist mein Hauptanliegen – über die Veränderung der eigenen Situation. Wenn das alle machen, dann gibt es natürlich Probleme in den Staaten, die hoch besteuern und bevormunden, weil dann letztlich keiner mehr dort leben will. Das würde auf einen Wettbewerb hinauslaufen, bei dem sich Staaten mit Steuern unterbieten. Genau das ist mein Thema. Ich schaue mir jeden Staat an: Was hat der für Vorteile, was für Nachteile? Deutschland hat in vielen Bereichen durchaus Vorteile, aber auch viele Nachteile. Das muss man abwägen. Was machst du, wenn du Leistungen brauchst, die der deutsche Staat bietet? Das fragen mich viele. Ich habe eine Krankenversicherung, die mich international versichert. Zu gleichen oder sogar besseren Leistungen als eine deutsche gesetzliche Krankenversicherung. Dafür zahle ich nicht 800 Euro wie in Deutschland, sondern 80 Euro im Monat. +++ Mark flog First Class um die ganze Welt. Und sparte 95 Prozent. +++ Es gibt generell privat organisierte Alternativen – gerade im Versicherungsbereich – zu allem, was es auch in Deutschland gibt. Andere Dinge organisiere ich mir über den Wohnsitz in anderen Ländern. Vieles kann man da aber nicht bekommen, das sind Länder mit geringen Steuern, dafür auch ohne Sozialsystem. Wenn du Deutschland verlässt, verlierst du die Steuerpflicht, aber natürlich auch das Recht auf Kindergeld oder Sozialversicherung. Danke für das Interview, Christoph. Die Autorin: Laura Dahmer studiert Politik und VWL an der Uni München und arbeitet als freie Journalistin. Mehr auf Orange über alternative Lebensformen: Lars musste mit 44 nicht mehr arbeiten. So hat er das angestellt. Oliver will mit 40 in Rente. Er sagt: Das schafft jeder. Mark flog First Class um die ganze Welt. Und sparte 95 Prozent.