Zuerst fliegt eine Faust, dann eine zweite. Ein Handgemenge bricht direkt vor mir zwischen zwei Flüchtlingen aus, mitten in der Werft des Athener Hafens. „Symperasma!“ brüllt ein fülliger griechischer Polizist, der vor wenigen Sekunden noch unbeteiligt auf seinem Motorrad saß und verleiht seinem Einschreiten mit einer schrillen Pfeife Nachdruck. Doch sein Pfeifen geht in einem Chor aus Trillern unter: Ein Freiwilliger hatte alle Kinder mit Trillerpfeifen ausgestattet. Hilflos und gedemütigt steht der Polizist daneben bis sich der Streit wieder legt. Der Athener Hafen hat sich in den vergangenen Wochen in ein riesiges Flüchtlingslager verwandelt. Knapp 5500 Menschen leben hier zwischen Kreuzfahrtschiffen und Terminals.Die griechischen Behörden stehen sprichwörtlich hilflos daneben. Dabei sind die Lebensbedingungen der Flüchtlinge hier schlimm. Es gibt kein fließendes Wasser und kaum Platz, Krankheiten breiten sich aus. Dass sich die Lage so zuspitzt, ist vor allem eine Folge des EU–Türkei-Deals, der die Verteilung von Flüchtlingen in Europa regeln soll. Für jeden Flüchtling, den die Türkei aufnimmt, soll ein Flüchtling in Europa angesiedelt werden. Viele der Flüchtlinge, die sich zurzeit in Griechenland befinden, sollen deshalb zurück in die Türkei gebracht werden. Damit das alles geregelt verläuft hat die griechische Regierung die Flüchtlingslager jetzt in Haftanstalten umgewandelt. Wer einmal drinnen ist kommt nicht mehr raus. Davor haben viele Flüchtlinge Angst, sie bleiben lieber in Lagern wie dem am Hafen von Athen. Denn hier können sie ein- und ausgehen wie sie wollen. Vor allem aber wissen sie nicht, was die griechischen Behörden mit ihnen vorhaben, sobald sie ein Regierungslager betreten. Zurück in die Türkei oder sogar wie 150 Afghanen vergangenen Mittwoch zurück nach Afghanistan? Vielleicht dort ewig auf einen zuständigen Sachbearbeiter warten? Gutes verheißt das alles nicht. Im Hafen von Athen legt sich der Streit zwar schnell wieder, die Probleme bleiben aber. "Das Schlimmste ist die Ungewissheit“, berichtet ein Flüchtling mir am Nachmittag. Ohne klaren nächsten Schritt vor Augen wird die Lage für die Flüchtlinge am Hafen von Piräus immer mehr zu einer permanenten Lösung. Und das schadet am Ende allen. Den Behörden, die keinen Überblick mehr haben und unfähig wirken, aber auch den Flüchtlingen, die unter grauenhaften Bedingungen warten. Morgen werden die meisten von ihnen wieder einen Großteil ihrer Zeit in Essensschlangen, Kleiderschlangen oder Teeschlagen verbringen. Warten. Besonders für Kinder, die eigentlich in Schulen sitzen sollten, ist das verlorene Zeit. Worauf sie aber alle warten, das ist Klarheit und eine Perspektive. Paul hilft ehrenamtlich in einem Flüchtlingscamp auf der griechischen Insel Lesbos. Für uns dokumentiert er seine Erfahrungen von vor Ort.